Die Quelle
»Ich glaube, es war sehr gut für die Welt«, sagte er langsam, »daß ein Martin Luther gekommen ist.«
»Was meinen Sie damit?« fragte Cullinane.
»Ich meine damit, daß ihr Katholiken uns Juden bis zu diesem Zeitpunkt, wie Sie sagten, ziemlich schlecht behandelt hattet. Wenn man eine einfache Liste darüber aufstellen wollte, was Ihre Kirche meinem Volk zugefügt hat, würde das dem Katholizismus jede moralische Berechtigung für die Zukunft nehmen; und wenn ein Mann wie ich annehmen wollte, das, was Ihre Leute uns angetan haben, sei eine Grundeigenschaft des Katholizismus, dann sähe ich keine Möglichkeit, wie wir miteinander leben könnten. Aber dann ist zum Glück für die Weltgeschichte Martin Luther gekommen, um zu beweisen, daß sich die Protestanten mit der gleichen Barbarei aufführen konnten. Schließlich haben in Deutschland im Jahre 1939 keine irregeleiteten Katholiken die Öfen angeheizt. Es waren brave, nüchterne Protestanten, und nicht katholische Politiker -die haben die ganze Sache von sich abgeschüttelt. Es waren protestantische Außenminister und hohe Tiere. Und deshalb überlegt sich unsereins: Was in Spanien vor sich gegangen ist, hat nicht eigentlich zum Katholizismus gehört, und was sich in Deutschland ereignet hat, ist nicht rein protestantisch gewesen. Es war alles nur ein Zeichen der Zeit, ein Beweis der tödlichen Krankheit des Christentums. Verstehen Sie, was ich sage?«
»Daß es die Christen sind, die die Juden töten, nicht Katholiken oder Protestanten.«
»Ja«, sagte Eliav. »Die ungeheuer persönliche Religion, die sich von der Gestalt Christi her entwickelt hat, war wirklich das, was Er und Paulus sich vorgestellt hatten. Sie war großartig, eingängig und ein Weg zur eigenen Erlösung. Sie hat es ermöglicht, die hochragenden Dome zu bauen und noch höher hinauf strebende Gedankenflüge zu erwecken. Aber sie war völlig unfähig, die Menschen das Zusammenleben zu lehren.«
In dem anderen Bett rührte sich etwas, und dann kam Tabari zu Eliavs Feldbett herüber. »Glaub kein Wort von dem, was er sagt«, meinte der Araber. »Der einzige Grund, warum sich die Juden nicht so benommen haben wie die Christen, liegt darin, daß sie die letzten zweitausend Jahre niemand gehabt haben, an dem sie sich austoben konnten. Hauptsächlich liegt es daran, daß, wann immer sie ein Königreich gegründet haben, es sehr rasch wieder auseinanderfiel. Wie lange hat das Reich Sauls und Davids bestanden? Etwas über hundert Jahre. Auf einem Gebiet, kleiner als Palästina, splitterte es auf in das Nord- und in das Südreich. John, kennst du die Geschichte von den zwei Juden? Zwei Juden tun sich zusammen und bauen drei Synagogen: >Du gehst zu deiner, ich gehe zu meiner, und wir beide boykottieren den elenden Burschen auf dem Berg.<« Eliav lachte. »In gewisser Beziehung magst du recht haben, Dschemail. Gesichtlich gesehen, war es für uns fast genauso schwer zueinanderzufinden wie für euch Araber.«
»Etwa genauso«, pflichtete Dschemail ihm bei. »Aber als ich euch beide debattieren hörte, dachte ich: Warum soll ich hier still und stumm liegen, wenn ich die Lösung habe?«
»Und wie lautet die?« fragte Cullinane.
»Ganz einfach. Das Judentum hat seine beste Zeit hinter sich, und wenn die Juden klug gewesen wären, hätten sie sich, als das Christentum kam, mit ihm vereinigt. Beim Christentum ist auch die Blüte vorbei, und wenn ihr intelligent wäret, würdet ihr beide der neuesten Religion beitreten. Dem Islam.« Er neigte sich tief herunter zu den beiden und sagte: »Bald wird ganz Afrika islamisch sein, das schwarze Amerika auch. Ich sehe es kommen, daß Indien den Hinduismus, daß Burma und Thailand den Buddhismus aufgeben. Meine Herren, ich vertrete die Religion der Zukunft. Ich biete Ihnen die Erlösung.«
Der heitere Unfug seiner Worte machte alle drei lachen. Dann rief der Fotograf aus dem anderen Zelt: »Kaffee«, und ein neuer Tag begann. Er unterschied sich nur wenig von den fünfzehn Millionen Tagen, die über Makor aufgegangen waren, seitdem die erste wirkliche menschliche Gemeinschaft in seiner Höhle gegründet worden war.
Zu Beginn des sechzehnten Jahrhunderts war Safed ein ganz und gar unbedeutendes Städtchen. Seine tausend Einwohner lebten in Lehmhäusern an engen Gäßchen, die sich am Nordwesthang eines der Berge Galilaeas hinauf- und hinabzogen. Im hellen Sonnenlicht der Bergeshöhe stand düster die Ruine einer Kreuzritterburg. Ihre einst drohenden Türme waren
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