Die Quelle
zerfallen, ihre Mauern eingestürzt; nur Falken und kriechendes Getier hausten dort.
Die Nordwinde hatten die zerstörte Burg mit Sand bedeckt. Bäume wurzelten in der herangetragenen Erde, und der einst so stolze Bau war nur noch ein Erdwall, aus dem hier und dort ein Stein hervorschaute zum Beweis dafür, wie majestätisch dieser Gipfel einst gekrönt gewesen war.
Von den tausend Einwohnern waren etwa zweihundert Juden, einige wenige Christen und die übrigen Mohammedaner. Nur ein oder zwei alte Männer erinnerten sich noch daran, von ihren Großvätern gehört zu haben, daß ihr Berg einst ein Bollwerk der Kreuzritter gewesen war.
Das Städtchen, das unter der Ruine am Hang lag, besaß zwei Moscheen, eine Synagoge, eine kleine Kirche, ein paar dunkle, überkuppelte Basare und ein paar kleine jüdische Läden. Der türkische Statthalter, der für die Hohe Pforte in Istanbul hier das Regiment führte, sah auf Frieden unter den verschiedenen Gemeinden und überließ die Leitung der Mohammedaner den Kadis, die der Juden den Rabbinen und die der Christen ihren Priestern. Einmal im Jahr kam in trauriger Erinnerung an die Seide und die Gewürze einstiger besserer Zeiten eine kleine Karawane mit ein paar Ballen minderwertiger Waren herein. Die Türkei verlangte nur wenig Steuer, denn einen nennenswerten Handel gab es nicht. Hätte jemand zu Beginn des sechzehnten Jahrhunderts dieses verschlafene Safed unvoreingenommen betrachtet, so hätte er gewiß prophezeit: »Es wird ewig weiterschlafen. Das einzig Gute an ihm ist die Gebirgsluft.«
Im Jahr 1525 aber führten mehrere scheinbar überhaupt nicht miteinander zusammenhängende Ereignisse dazu, den Ablauf der Geschichte Safeds völlig zu ändern und die Stadt für die
Dauer von etwa neunzig Jahren in eines der bemerkenswertesten Gemeinwesen der Welt zu verwandeln: in eine Stadt des Gewerbefleißes mit sechzigtausend Einwohnern, in ein in ganz Europa bekanntes Handelszentrum und in die geistliche Kapitale des jüdischen Volks. Für die kleine Stadt begann ein Goldenes Zeitalter, so weithin leuchtend, daß die Erinnerung an Safed in Ländern wachgehalten werden sollte, die es damals noch gar nicht gab. Das höchst unwahrscheinliche Zusammentreffen dreier Faktoren vollbrachte diese Umwälzung. Die drei waren das Kamel, das Spinnrad und das Buch. Das Wunder von Safed begann mit dem Kamel. Als die Macht und der Reichtum des Türkischen Reiches immer mehr wuchsen und Konstantinopel-Istanbul als Umschlagplatz der aus Asien nach Europa exportierten Güter an die Stelle von Genua und Venedig getreten war, kam der neue Wohlstand auch Damaskus und der zerstörten Hafenstadt Akka zugute. Und da die Straße zwischen beiden Städten seit jeher Safed berührt hatte, wurde es zum Ruheplatz der Karawanen und zum Rastort der Händler. Jede Karawane ließ einen Teil ihrer Güter, gelegentlich auch ein paar Leute in Safed zurück, denn die Lage der Stadt und ihre kalten, schneereichen Winter gefielen den Menschen, die der Wüste müde geworden waren. Die Mehrzahl derer, die in Safed hängenblieben, waren Araber. Sie siedelten sich im Süden und Osten der Stadt an, bauten neue Moscheen und weitere Basare.
Ohne das Spinnrad jedoch hätten die Kamele allein nur wenig auszurichten vermocht. Das Erscheinen des Spinnrads in Safed entbehrte nicht einiger Ironie. Als zuerst Spanien und dann Portugal die Juden vertrieb, zog es viele der besten und tapfersten nicht nach neuen Zufluchtsstätten wie etwa Amsterdam, sondern zurück nach Erez Israel, in das Land der Verheißung. Hatten solche Juden in Akka das Schiff verlassen, so bekamen sie von Matrosen in der einzigen Herberge, die es noch in der Hafengegend gab, folgendes zu hören: »In Jerusalem sieht’s erbärmlich aus, und in Tabarije ist’s nicht besser. Vom Heiligen Land ist nur Safed übriggeblieben.« Zu Fuß und zu Esel reisten diese willensstarken Juden über Land nach Safed. Dort siedelten sie sich im westlichen Viertel an und bauten kleine Steinhäuser auf den schönen Hängen mit dem Blick auf ein Wadi und einen Berg. Selten haben Opfer religiöser Verfolgung ein erfreulicheres Asyl gefunden wie damals die Juden aus Avaro und anderen spanischen Städten in Safed.
Und sie brachten das Spinnrad mit; in Spanien hatten sie damit die Wolle des Merinoschafs gesponnen. Und so begründeten sie in ihrer neuen Heimat das spätere Hauptzentrum der Weberei Vorderasiens. In Akka warteten riesige Karawanen auf die Schiffe mit Rohwolle aus
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