Die Quelle
hatte.
»Wenn wir Ihnen nun die dreißig Pfund geben?« fragte der Kadi kläglich. »Dann werde ich unentwegt daran arbeiten, daß die Juden das Grundstück nicht bekommen.«
»Und können wir uns darauf verlassen?« flehte der Kadi.
»Sie haben mein Ehrenwort«, erwiderte der Kaimakam zurechtweisend. »Ich selbst werde morgen nach Akka reiten. Ich werde dem Mutasarrif Ihr Geld eigenhändig überreichen. Und es werden keine Juden in Tabarije Grund und Boden kaufen.« Und dabei überlegte er: Wenn der Entscheid des Sultans anders ausgefallen ist, kann ich mich darauf berufen, alles getan zu haben, das Unheil aufzuhalten. Bei diesem Hintergedanken mußte sich seine Doppelzüngigkeit irgendwie in seinem Gesicht ausgedrückt haben, denn der schlaue Mufti, der Tabari sehr genau beobachtet hatte, dachte jetzt, und dabei stockte ihm fast der Atem: Dieses dreckige Schwein. Er weiß schon jetzt, was der Sultan beschlossen hat, und nun versucht er, uns unser gutes Geld abzunehmen. Verdammt. Aber ich werde ihm das Geld geben, und ich werde ihm damit die Schlinge um den Hals legen. Heute abend noch schicke ich dem Mutasarrif eine Nachricht und teile ihm mit, was sich zugetragen hat. Und noch bevor die Woche um ist, wird unser Freund Tabari im Kerker sitzen.
Aber auch von diesen hinterlistigen Gedanken des Mufti war wohl in dessen Zügen etwas abzulesen, und Tabari kannte eine der Grundregeln türkischer Verwaltung nur zu genau: Wenn du einen Mann gezwungen hast, Bestechungsgelder zu zahlen, so beobachte ihn sehr sorgfältig, damit du erkennst, welche Rachepläne er hegt. Tabari brauchte seinen Mufti nur anzusehen, um zu wissen, daß der das Geld nur vor Wut kochend zahlen werde und nur, weil er irgendeinen Weg wußte, wie er dem Kaimakam eins auswischen konnte. Was also, fragte sich Tabari, kann der Mufti gegen mich unternehmen? Nur eins. Er zahlt mir die Summe, benachrichtigt den Mutasarrif davon und rechnet damit, daß ich das Geld für mich behalte. Und, indem er dem religiösen Oberhaupt von Tabarije wohlwollend ins rotgedunsene Gesicht lächelte, dachte er: Du Sohn einer Sau. Ich werde dein Geld nehmen und alles, bis auf den letzten Piaster, an den Mutasarrif abführen. Und ich werde ihm erzählen, was für ein Schwein du in Wirklichkeit bist. In zwei Wochen wird man dich in den Jemen versetzt haben.
Jetzt blickten, der Kadi und der Mufti sich gegenseitig ratsuchend an, und dann gab der Kadi ihren gemeinsamen Entschluß bekannt: »Wir werden Ihnen die dreißig Pfund geben, Exzellenz.«
»Für die von Ihnen vorgeschlagene Verwendung«, knurrte der Mufti. »Für Akka.«
»Aber selbstverständlich«, rief Kaimakam Tabari verbindlich, und zu seinem Glück hatte er den Einfall, auf die beiden zuzustürzen und sie in seine Arme zu schließen, als seien sie seine besten Freunde. Denn genau in diesem Augenblick erschien ein ägyptischer Diener in der Tür hinter ihnen mit einer Depeschenmappe. Da aber Tabari seine beiden liebsten Feinde so eng umschlungen hielt, konnten sie sich nicht umdrehen und den Diener bemerken, und als sie endlich losgelassen wurden, war dieser auf ein Zeichen Tabaris bereits verschwunden, mitsamt der Mappe.
Die Umarmung war beendet. Tabari rief nach seinem Diener: »Hassan, begleite den Mufti nach Hause. Er gibt dir dort ein Päckchen für mich.« Der Ägypter, nun selbstverständlich ohne die Depeschentasche, kam ins Zimmer geschlendert. Der Mufti sah ihn argwöhnisch an und meinte: »Ich bringe das Geld morgen selbst.«
Diese Bemerkung veranlaßte Tabari, die zweite Regel türkischer Verwaltungskunst anzuwenden: Wenn ein Mann Bestechungsgelder verspricht, laß ihn nicht aus den Augen, bis er sie abliefert; er könnte es sich anders überlegen. »Sie haben vergessen«, erinnerte Tabari den Mufti, »daß ich schon morgen früh nach Akka aufbreche. Wenn wir eine rasche Wirkung erreichen wollen, sollte der Mutasarrif Ihr Geld prompt erhalten.«
Der Mufti verneigte sich, machte eine weit ausholende Geste der Freundschaft und verließ mit dem Kadi das Zimmer. Kaum hatten sie sich vom Kaimakam verabschiedet, als der Mufti den Richter zur Seite zog, damit der Diener nicht zuhören konnte, und flüsterte: »Hattest du nicht auch das Gefühl, daß jemand den Raum betrat, als der Schurke uns umarmte?«
»Ich habe nichts gemerkt«, antwortete der Kadi verblüfft.
Plötzlich schnellte der Mufti herum, packte den Diener beim Arm und fragte gebieterisch: »Du hast soeben dem Kaimakam eine Depesche aus Akka
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