Die Quelle
wollen, waren aber darauf bedacht gewesen, ihr wankendes Reich zusammenzuhalten, und hatten deshalb niemanden dulden können, der sich später als Bedrohung für die türkische Herrschaft erwies. In Tabarije bestand vor neunzig Jahren kaum die Wahrscheinlichkeit, daß sich eines Tages die schwächlichen Ghettojuden, die ihren Talmud studierten, zu einem Aufstand gegen das Reich zusammenrotteten. Wohl aber bestand stets die Gefahr, daß die Araber es taten. Und deshalb war es keineswegs unlogisch, wenn ein dem Sultan ergebener und zugleich gläubig mohammedanischer Kaimakam Entscheidungen traf, die zu ungunsten seines Muftis ausfielen.
Andererseits - und auch dies hatte Cullinane begriffen -durfte man die tolerante bis gleichgültige Haltung der Moslems den Juden gegenüber nicht als einen Beweis dafür auslegen, daß sie diese nun auch tatsächlich voll anerkannten. Das tragische Geschehen anno 1834 in der Stadt Safed bot ein klassisches Beispiel für diese Art Moslemherrschaft (obwohl die Schuld in diesem Falle die Ägypter hatten, die sich unter Mehemed Ali gegen den Sultan gestellt und bis nach Syrien vorgerückt waren, und nicht die Türken). Am 31. Mai 1834 hatte ein großes Erdbeben Safed heimgesucht und erheblichen Schaden an Häusern und Eigentum angerichtet. Einige Wochen später war in der Stadt das Gerücht umgegangen, die Ägypter wollten Araber zur Armee einziehen. Das Erdbeben und nun die Zwangsrekrutierung - das konnte nach Ansicht der abergläubischen Araber nur die Folge des Wirkens einer unheilvollen Macht sein: Die Juden waren schuld! Und wenn sie schuld waren, dann hieß die einfachste Lösung: Schlagt sie tot! Volle dreiunddreißig Tage konnten die Moslems wüten, die Synagogen zerstören, Rabbiner umbringen und zweihundert Thorarollen vernichten, deren jede einzelne wertvoller war als ein ganzes Haus, und die Überlebenden des
Massakers an der großen jüdischen Gemeinde aus der Stadt hinaus auf das Land treiben, wo sie länger als einen Monat kümmerlich von Gras und ein paar geschlachteten Schafen dahinvegetierten. Danach erst griff die Regierung ein, nahm die arabischen Rädelsführer fest und hängte dreizehn von ihnen auf.
Solcherart hatten, wie damals die Ägypter, so vorher und nachher die Türken regiert: Man selbst veranstaltet keine Pogrome. Wenn aber die Araber Juden umbringen, so laß sie. Man kommt dann schon, stellt die Ordnung wieder her und hängt die Araber auf. Auf diese Weise verliert die jüdische Gemeinde ihre führenden Männer, und die Ruhe bleibt einigermaßen aufrechterhalten. Nach dieser zynischen Methode behandelte der Türke den Juden jedenfalls nicht schlechter als den Moslem.
Cullinane fand dieses Verfahren - nun ja, man konnte es auch Unparteilichkeit nennen - keineswegs überraschend. Denn er war sich bei seinen Studien darüber klargeworden, daß die meisten Historiker die Religion für einen wichtigeren politischen Faktor in der Geschichte hielten, als sie es wirklich war. Theoretisch gesehen, müßte man doch erwarten, daß beispielsweise das katholische Frankreich und das katholische Spanien politisch an einem Strick zogen. Trotzdem hatten sie es selten genug getan. Cullinane selbst hatte früher auch an die Macht der Religion im politischen Geschehen geglaubt; als er einmal eine Ausgrabung in Persien besichtigte, war ihm der -wie er meinte - sehr einleuchtende Gedanke gekommen, daß der Islam eines Tages ganz Westasien einen könne. Aber noch bevor er diesen Gedanken weiter ausspinnen konnte, hatte er feststellen müssen, daß das islamische Afghanistan ein Verbündeter des hinduistischen Indien war und gegen das islamische Pakistan Krieg führen wollte, das wiederum als Verbündeter des buddhistischen China galt. Und nur wenig später versuchte das islamische Ägypten das gleichfalls islamische Arabien zu vernichten. Noch auffallender für jeden, der, wie er selbst, hier in Israel an Ausgrabungen teilnahm, mußte das Beispiel der Kreuzfahrer sein: Als christliches Heer hatten sie sich aufgemacht, aber ihre ersten Feinde waren das katholische Ungarn, das orthodoxe Konstantinopel und die christlichen Gemeinden Kleinasiens gewesen.
So hatte Cullinane erkannt, daß es irrig war zu erwarten, das katholische Irland und das katholische Spanien müßten gemeinsame Sache machen - das taten sie ebensowenig wie etwa die islamische Türkei und das islamische Syrien. Die Religion, das war Cullinanes Schlußfolgerung, lieferte eben kein festes Fundament, auf das man
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