Die Quelle
hatte, daß jedoch der Mufti durchschaute, worum es ging, und deshalb schweigend wartete, um seinen Vorgesetzten zu demütigen. Der Mufti aber hatte das Geld, das Tabari haben wollte, und darum war es der Kaimakam, der seinen Stolz hinunterschlucken und sagen mußte: »Ich habe darüber nachgedacht.« Als er diesen überall wohlverstandenen Kernsatz türkischer Korruption aussprach, begriff selbst der einfältige Kadi, was auf dem Spiel stand.
»Ich habe darüber nachgedacht«, wiederholte Tabari. »Da wir drei darin übereingekommen sind, daß der Jude kein Land haben soll, müßte ich vielleicht den Mutasarrif in Akka davon in Kenntnis setzen.« Der Mufti blickte voller Abscheu auf diesen aalglatten Kaimakam. Noch einmal wurde Tabari gezwungen, Farbe zu bekennen: »Wenn ich aber nach Akka gehe, brauche ich Geld.«
»Wieviel?« fragte der Mufti verächtlich.
»Dreißig englische Pfund«, sagte Tabari, ohne mit der Wimper zu zucken. Als er den Kadi erbleichen sah, fügte er weltmännisch hinzu: »Ich sage englische Pfund, weil ich weiß, daß Sie mehr als vierzig Pfund der letzten Gruppe von Pilgern abgeknüpft haben, die nach Kapernaum wollte.«
Der Mufti durchbohrte den Kaimakam mit seinen Blicken, und die Röte seines Gesichtes wandelte sich zu Violett. Es ist zum Wildwerden, dachte der Mufti, sich derartig von einem Araber behandeln lassen zu müssen, der die Rolle eines Türken spielt. Aber davon einmal abgesehen - selbst wenn ich Tabari die dreißig Pfund gebe, wird der Mutasarrif in Akka nur einen Bruchteil davon bekommen. Aber nun überlegte der Mufti weiter: Warum soll ich Tabari nicht die dreißig Pfund geben und warten, bis er die Hälfte für sich abgezweigt hat? Dann ist der Augenblick gekommen, dem Mutasarrif klarzumachen, daß Tabari ihn hintergangen hat. Und genau das - so schloß der Mufti seine Überlegungen - ist der rechte Weg, diesen Tabari ein für allemal loszuwerden. Das soll mir die dreißig Pfund wert sein!
Der Kadi war solch raffinierten Doppelspiels nicht fähig. Er verstand sich lediglich darauf, ein für den Meistbietenden günstiges Urteil zu fällen und den Erlös mit dem Kaimakam zu teilen. Schon der Gedanke, jemandem eine Falle zu stellen, die erst im fernen Akka zuschnappen sollte, ging weit über seinen Horizont. Ihn bewegte etwas anderes. Der Mufti war ebenso überrascht wie der Kaimakam, als er sich an Tabari wandte: »Kaimakam Tabari, eines scheint mir klar zu sein: Wenn Sie dem Juden gestatten, draußen vor der Stadtmauer Grund und Boden zu kaufen, wird er andere Juden nach sich ziehen, die das Land bestellen. Wenn sie Erfolg haben, werden weitere
Juden kommen, und bald werden wir armen Moslems.« Er hob resigniert die Hand, als wolle er versuchen, das dann Unvermeidliche abzuwenden.
»Oh, ich bin ganz und gar Ihrer Meinung«, rief Tabari geradezu entzückt. »Das ist es ja, warum ich so sehnlichst hoffe, daß Sie das Geld für Akka auftreiben.«
»Wird aber der Mutasarrif überhaupt der richtige Mann sein, diese Entscheidung zu fällen?« fragte der Mufti, ganz gegen seinen Willen doch noch einmal in die Erörterung über das Für und Wider dieses Falles hineingezogen. »Selbstverständlich«, sagte Tabari ernsthaft. Aber dabei überlegte er: Vor zwei Jahren sind die Papiere von Tabarije nach Akka geschickt worden, von dort nach Beirut und weiter nach Istanbul. Inzwischen ist die Entscheidung sicherlich gefallen. Irgendwo zwischen der Hauptstadt und Tabarije ist ein Ferman des Padischah, ein Befehl des Sultans selbst, hierher unterwegs. Die europäischen Regierungen drängen darauf, daß im ganzen Reich die Bestimmungen über den Kauf von Ländereien liberaler gehandhabt werden, und was der Sultan den Russen und den Engländern zugestanden hat, muß auch für Juden gelten. Wenn ich also mein Bakschisch vom Kadi und vom Mufti einheimsen will, muß ich mich beeilen, bevor sie erfahren, daß die Entscheidung des Sultans sich gegen sie richtet. Der Mufti meinte grollend: »Haben Sie keine Bedenken, wenn Juden Land aufkaufen?«
»Aber gewiß«, erwiderte der Kaimakam mit ehrlicher Leidenschaft. »Es wird alles drunter und drüber gehen. Sobald man einmal die Tore öffnet für.« Er wußte nicht recht was, aber er befürchtete, daß es mit dem gemütlichen Schlendrian dann vorbei war. Er empfand ehrlichen Kummer darüber. Doch er unterdrückte ihn rasch, denn die Zeit ging dahin, und der Ferman konnte jeden Augenblick eintreffen, ohne daß er sein Geld bekommen
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