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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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einen Staat oder einen Staatenbund gründen konnte. Er vermochte sich sehr wohl vorzustellen, daß in Zukunft ein Panarabismus - und nicht das Bekenntnis zum Islam! - wirklich echt arabische Staaten wie Syrien, den Irak und Arabien zu vereinen in der Lage sein konnte, während die übrigen nichtarabischen Staaten mit mohammedanischer Bevölkerung ihren eigenen geschichtlichen Weg gingen: Im Westen würde Ägypten die Führung über die islamischen Nationen Nordafrikas übernehmen, im Osten der islamische Iran sich auf Asien konzentrieren, während sich die islamische Türkei den Staaten Europas verbunden fühlen würde. Das politische Geschehen war also eine Angelegenheit der Staaten und nicht eine der Religion. Wenn Cullinane solche Betrachtungen anstellte, ertappte er sich oft bei dem Gedanken, ob der junge Staat Israel wirklich klug gehandelt hatte, sich so ganz und gar zu einem einzigen Glauben zu bekennen, mochte diese Religion noch so alt und noch so tief im Boden des Landes verwurzelt sein. Er war immer wieder erstaunt über die Macht religiöser Parteien in der Regierung, über die starke Betonung des Religiösen in den Schulen und über die Tatsache, daß Israel, wie früher die Türkei, die Entscheidung über Dinge des bürgerlichen Alltags - etwa solche des Ehe- und des Erbrechts - religiösen Gerichten überließ, die sich, wenn die Prozeßparteien jüdisch waren, aus Rabbinern zusammensetzten, für Katholiken hingegen aus Priestern und für Protestanten aus Pfarrern. Als guter Christ, der Cullinane nun einmal war, konnte er nur folgendes daraus schließen: Sie sind hier in Israel stehengeblieben, wo Byzanz schon vor sechzehnhundert Jahren war. Warum eigentlich mußte ein neuer Staat freiwillig darauf bestehen, die alten Fehler zu wiederholen? Cullinane beschloß, über diese Frage bald einmal mit Eliav zu sprechen, denn offenbar meinten die Juden, daß ihr Glaube über besondere Eigenheiten verfüge und dadurch jene Irrtümer ausschloß, denen andere Glaubensbekenntnisse unterworfen gewesen waren.
    Schemuel Hakohen wollte Grund und Boden. Er mußte Grund und Boden haben. Dieser verwachsene, zähe Jude aus Rußland brauchte Grund und Boden nötiger als jeder Mensch in Palästina. Als dieser heiße Sommertag seinem Ende entgegendämmerte, war er fast der Verzweiflung nahe. Denn der gleiche Bote, der dem Kaimakam Tabari die Depeschen aus Akka gebracht hatte, war für Hakohen zum Unglücksboten geworden, indem er ihn benachrichtigte, daß vor zwei Tagen ein Schiff mit dem ersten Transport Juden aus Europa im Hafen eingelaufen sei. Morgen wollten sich diese Juden zu Fuß nach Tabarije aufmachen. Und wenn sie dort nicht Land für sich vorfanden, dann bedeutete dies Unheil für Schemuel Hakohen.
    Als er vor vier Jahren nach Tabarije gekommen war, hatte er gemeint, Land für eine jüdische Siedlung zu kaufen sei eine ganz einfache Sache. Aber Monate und Jahre waren in entnervenden Verhandlungen dahingegangen, die im Zeichen übelster Bestechung und schlimmster Konfusion gestanden hatten. Und jetzt, im Jahre 1880, war Hakohen mit dem Kauf seiner Felder noch nicht weitergekommen als im Jahre 1876. Zum Beispiel: Schon vor zwei Jahren hatte er sein letztes Gesuch nach Istanbul eingereicht. Wie konnte eine Regierung die Entscheidung zwei volle Jahre aufschieben?
    An diesem heißen Tag, gegen sechs Uhr, saß Schemuel in seinem armseligen Zimmer und überlegte, was er tun solle. Er lebte in einer Hütte genau an der Grenze zwischen den Wohnvierteln der Aschkenasim und der Sefardim. Selbst im finstersten Rußland hatte er eine solche Behausung nie zu Gesicht bekommen. Dort gab es wenigstens einen Fußboden, und es gab, wenn man sich die Mühe machte, wenigstens wanzenfreie Zimmer. Hier aber, in diesem hoffnungslosen Dreck von Tabarije, gab es überhaupt nichts. Man sah nur alte Männer, die tagaus tagein den Talmud studierten, Frauen, die sinnlos dahinvegetierten, und Kinder, die in Unwissenheit aufwuchsen. Welch grauenhafter Widersinn, daß Juden im Land ihrer Väter so leben mußten!
    Schemuel Hakohen stöhnte unter der Hitze. Nun mußte er also doch noch einmal den Kaimakam anflehen, das Land für die eben angekommenen Juden freizugeben. Wenn er sich jedoch den Kaimakam vorstellte, konnte er nur den Kopf schütteln: Ich verstehe diesen Mann überhaupt nicht. Gewiß, Tabaris Bestechlichkeit geht weit über das in Rußland übliche Maß hinaus. Gewiß: Dieser Kaimakam will so viel Piaster wie möglich aus den Juden

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