Die Quelle
gebracht, nicht wahr?«
»Nein«, antwortete der Ägypter trotz seines Schrecks. Schweigend begleitete er den Mufti zu dessen Haus, wo er sich die dreißig Pfund aushändigen ließ, nicht ohne sie sorgsam zu zählen.
Im gleichen Augenblick öffnete Kaimakam Tabari die Depeschenmappe, die ihm der Diener wenige Minuten zuvor überreichen wollte. Er legte die üblichen Papiere zur Seite und blätterte hastig die anderen so lange durch, bis er fand, was er in der Tasche vermutet hatte: den Ferman. In goldener Schrift und mit roter Seide gesiegelt, lag er vor ihm. Tabari las:
Dem Gesuch des Juden Schemuel Hakohen, Grund und Boden am Bahr Tabarije zu erwerben, welcher besagte Grund und Boden sich zur Zeit im Besitz des Emir Tewfik ihn Alafa, gebürtig in Damaskus, befindet, wird hiermit stattgegeben. Der weitere Antrag des Hakohen, zusätzliches Land mit unmittelbarem Zugang zum Bahr Tabarije und zum Jordan zu erwerben, wird hiermit abschlägig beschieden. Unter keinen
Umständen soll Juden gestattet werden, sich in den Besitz von Grundstücken direkt am Wasser zu bringen.
Als Kaimakam Tabari den Erlaß des Padischah zu Ende gelesen hatte, lächelte er. Denn der Inhalt besagte, daß das Bestechungsgeld des Mufti schon unwirksam geworden war, während er es noch zahlte. Als Beamter des Türkischen Reiches genoß er derlei Widersinnigkeiten. Und dann erschien sein Diener mit den dreißig Pfund, meldete aber zugleich etwas weniger Erfreuliches: Draußen im Warteraum stand der Jude Schemuel Hakohen. Er wollte mit dem Kaimakam über das Grundstück verhandeln, um dessen Erwerb er sich während der letzten vier Jahre vergeblich bemüht hatte.
...Der Tell
Es ist doch einzigartig, dachte John Cullinane, daß den Juden in der neueren Geschichte gerade von den Türken zweimal entscheidend Hilfe geleistet worden ist. Zuerst im sechzehnten Jahrhundert; damals bot die Türkei den überall Ausgestoßenen Zuflucht in Städten wie Saloniki, Konstantinopel und Safed. Und das wiederholte sich im neunzehnten Jahrhundert, als in Polen und Rußland Pogrome wüteten. Warum waren es die mohammedanischen Türken, die den Juden halfen, während christliche Nationen versucht haben, die Religion auszumerzen, von der die ihre herstammte? Man könnte vermuten, daß der Islam duldsamer war, weil er die alttestamentarischen Traditionen höher einschätzte als die Christen; Mohammed hatte ganz besonders den Juden gegenüber Toleranz gepredigt, was man vom Christentum keineswegs sagen konnte. Doch eine solche Schlußfolgerung war doch wohl trügerisch. Cullinane überlegte weiter.
Warum war es nur der Jude gewesen, den der Türke geduldet hatte? In den gleichen Zeiten, in denen die Türken die Juden am rücksichtsvollsten behandelten, verfolgten sie die Drusen und die Armenier, die Bulgaren und die Griechen: Der gleiche Kaimakam, der am Montag dem Juden half, hängte am Dienstag den Armenier und erschoß am Mittwoch den Griechen.
Man sollte, dachte Cullinane, nach einer Erklärung außerhalb des Gebiets der Religion suchen. Er grübelte darüber nach, und dabei kam er auf Gedanken, die einleuchtend waren. Der Türke hatte den Juden nicht begünstigt, weil er ihn dem Christen vorzog; im Gegenteil, der Türke hielt, ähnlich wie Gott, die Juden für ein halsstarriges Volk, das nur sehr schwer zu lenken war. Aber der Jude stand allein und konnte daher auch unabhängig von den anderen behandelt werden. Für ihn trat kein anderer Staat ein. Und deshalb war er im Türkenreich willkommen, solange er sich einigermaßen gut aufführte, und man zeigte sich ihm gegenüber großzügig. Ganz anders war das bei den Christen und Arabern. Bei den Christen hatte dauernd die Gefahr bestanden, daß sie Staaten wie Frankreich, England oder Rußland um Schutz im Heiligen Land baten, während man bei den Arabern mit der Möglichkeit hatte rechnen müssen, daß sie sich irgendwann einmal vereinen und sich von der türkischen Herrschaft befreien würden. Folglich war weder Christen noch Arabern die Freiheit gegeben worden, sich auszudehnen, wie es ihnen beliebte.
Auf den ersten Blick, dachte Cullinane, scheint da aber doch ein Widerspruch vorzuliegen. Man sollte normalerweise meinen, daß der Jude, da er keinerlei Freunde hatte, straflos verfolgt werden konnte, während der Christ, der überall in der Welt seine Freunde hatte, besser nicht hart angepackt wurde. Aber die Türken waren da anderer Ansicht gewesen: Sie hatten zwar niemand wegen seines Glaubens verfolgen
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