Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
Vom Netzwerk:
Synagoge, um im Talmud zu lesen. Von den Stätten der Frömmigkeit wie Safed und Tabarije zu weit entfernt, als daß Spenden aus Europa hierher gelangten, mußten sie als Bauern pflügen und säen und ernten, wenn sie nicht verhungern wollten, und ihre Äcker waren, wie Schemuel sich überzeugte, in ausgezeichnetem Zustand. Die Juden von Pekiin verließen sich auch nicht auf den Schutz einer Mauer, falls Beduinen sie einmal angreifen sollten. Sie brauchten keine Mauer, denn immer bewachten ein paar Männer mit Gewehren die nach Pekiin führenden Wege über die Gebirgspässe. Viermal hatten Beduinen in den Jahren nach 1870 versucht, die Siedlung zu zerstören, viermal hatten sie sich mit ihren Toten zurückziehen müssen. Die Juden hier waren handfeste Burschen. Viele Wochen lang fand Hakohen Zuflucht bei ihnen. Er arbeitete auf den Feldern und fand nach und nach sein seelisches Gleichgewicht wieder.
    Was dieses Dorf aber besonders auszeichnete, entdeckte Schemuel erst nach einiger Zeit. An einem schönen Frühlingsabend - die üppig wachsenden Reben verhießen eine gute Ernte - saß man gemütlich schwatzend auf dem Dorfplatz beieinander. Da sagte er zu seinem Nachbarn: »Jakob, du hast mir noch nie erzählt, woher du kommst.«
    »Aus Pekiin«, antwortete der Bauer.
    »Ich meine deine Eltern. Aus welchem Teil Europas stammen sie?«
    »Aus Pekiin«, wiederholte Jakob. »Nein. Was ich meine ist: Rußland? Polen? Litauen?«
    »Ich bin aus Pekiin. Aaron auch. Und Absalom.«
    Hakohens Gesicht drückte höchstes Erstaunen aus. Denn noch nie war er in Israel Juden begegnet, die nicht aus dem
    Ausland gestammt hatten. »Ägypten? Oder Spanien?« fragte er.
    »Wir sind Juden«, sagte Aaron. »Unsere Familien haben dieses Land niemals verlassen.«
    »Aber während der Zerstreuung?«
    »Die Söhne Jakobs sind nach Ägypten gegangen«, erklärten ihm die Bauern von Pekiin, »aber wir nicht. Esra und Nehemia haben in Babylon leben müssen. Wir nicht.«
    »Aber wohin seid ihr gegangen, als die Römer uns vertrieben haben?«
    »Wir sind nicht gegangen.«
    Schemuel konnte es einfach nicht glauben, daß diese Juden von Pekiin, dem in den Bergen versteckten Dorf, niemals hatten fliehen müssen. Es war unfaßbar. Und doch konnte er trotz ständigen Fragens keinen finden, der sich an Rußland erinnerte, keinen, der mit Erinnerungen aus Bagdad heimgekehrt war. Vier Jahrtausende waren die Juden von Pekiin hier ansässig - sie hatten sich die Unterwürfigkeit der Knechtschaft in Ägypten, der Sklaverei in Assyrien, der Babylonischen Gefangenschaft, der Zerstreuung durch die Römer niemals anzueignen brauchen. An einem Abend im Juli
    - die Männer, mit denen zusammen er arbeitete, saßen bei ihrer Abendmahlzeit - ging Schemuel hinauf zu den Bergen, die so unendlich lange Zeit auf nichts anderes hinabgeblickt hatten als auf diese Juden, und während er so dahinwanderte, war es ihm, als gehe der Rebbe von Wodsch mit seinen Riesenschritten neben ihm. Und da begann der hünenhafte Rebbe plötzlich zu tanzen und zog Schemuel noch einmal in seine Arme: »Du bist ein Kind des Heiligen, gelobt sei Er!, bist der Sohn Abrahams«, sagte der Rebbe, und er küßte Schemuel Hakohen, den Mann, wie er einst Schmul Kagan, den Knaben, geküßt hatte. Und schallend tönte seine Stimme über die Berge: »Du wirst dein Land bekommen, Schmul, und du wirst in ihm den Tod finden.« Noch klangen die Worte des Rebbe in Hakohens Ohren, als er zu den Juden von Pekiin zurückkehrte. Er entbot ihnen eine gute Nacht, und dann sagte er: »Ich muß zurück nach Tabarije.«
    »Warum denn? Dort haben sie dich doch gesteinigt?«
    »Ich muß Land kaufen.«
    »Du kannst hier auch Land kaufen, Schemuel.« Sie hatten ihn als fleißigen Mann kennen und schätzen gelernt und wollten, daß er bei ihnen blieb. »Mein Land liegt am See«, sagte er nur. Und kehrte nach Tabarije zurück. Hier hatten sich inzwischen Hühner in seiner Behausung niedergelassen. Er scheuchte sie fort, drehte seine Matratze um, damit der Kot abfiel, und grub ein neues Loch am Kopfende als Versteck für seine englischen Banknoten. Die Goldmünze vergrub er am Fußende. Und dann begann er, den Kaimakam zu bearbeiten, entschlossen, nicht locker zu lassen, bis ihm das Land gehörte - das Land dort, wo der Jordan den See verließ und Weingärten gepflanzt werden konnten. Die Erinnerung an die Jahre der Einsamkeit und der Enttäuschung und das Wissen, daß heute bereits die Juden aus Wodsch in Akka waren,

Weitere Kostenlose Bücher