Die Quelle
irgendeinem ausgekochten Burschen aus dem Hafenviertel von Akka, und sie werden meine armen Einwanderer völlig durcheinanderbringen und sie einschüchtern. Und die Juden werden glauben, er will ihnen ihr Land vorenthalten, und sie werden noch die letzte Kopeke herausrücken, die sie besitzen. Dieser Hund.
Aber Hakohen war im Unrecht, was die Gedanken des Kaimakam betraf, denn Tabari sagte sich: Dieser Jude ist ein ganz Gerissener. Er glaubt, ich tue es nur, um ihn zu quälen. Erpressung. Dabei macht er sich nicht klar, daß ich heute sein Freund bin, der beste, den er je gehabt hat. Es ist besser, ich beweise es ihm. »Ihr wollt mir die Namen nicht geben?« fragte er scharf.
»Sucht sie Euch selbst. Nehmt doch den Einwanderern das Geld auf Eure Art ab.«
»Narr, verdammter!« schrie der Kaimakam. Aufgebracht holte er den Ferman aus seinem Schreibtisch und knallte ihn auf den Tisch. »Lies das, du dickfelliger Jude.«
»Ich kann nur Türkisch sprechen, aber nicht lesen.«
»Vertraut Ihr mir, wenn ich es Euch vorlese?« Tabari las den ersten Teil und sah, wie Freudentränen in Hakohens Augen traten. Dann aber las er den Schluß der Verordnung mit der strikten Bestimmung, die Juden vom Wasser fernzuhalten. Und jetzt sah er Kummer statt Freude auf Schemuels Gesicht. »Ohne Wasser ist das Land nichts wert«, protestierte Hakohen. »Offensichtlich. Und das ist der Grund, warum ich mehr Geld haben muß.« Hakohen dachte: Lüge. Nichts als Lüge. Er will das Geld nur für sich selbst. Aber da hörte er schon den Kaimakam leichthin sagen: »Übrigens vermute ich, daß der Sultan höchstselbst mit dieser Klausel nichts zu tun gehabt hat. Irgendein Freund von mir hat sie angehängt, um mir auszuhelfen.«
»Was meint Ihr damit?«
»Damit ich das tun kann, was ich jetzt versuchen werde. Etwas mehr Geld für mich herauszuholen. und meinem Freund die Hälfte abzugeben.« Dieses Doppelspiel war für Hakohen zuviel. Es war unbegreiflich. Ungeheuerlich. In Rußland hatte man es wahrlich mit Beamten zu tun gehabt, die heimtückisch waren. Aber man hatte sie wenigstens nach und nach verstehen gelernt. In diesem Türkischen Reich aber. Schemuels Angst war so groß, daß er völlig verzweifelt nur noch auflachen konnte. Der Kaimakam lachte ebenfalls. Und dann sagte er in heiterem Ton: »Unsere Lage ist doch folgende, Schemuel. Ich möchte, daß Eure Juden das Land bekommen, und das Wasser dazu. Ich vermute, der Sultan ist auch dieser Meinung. Mit Rücksicht auf die letzte Klausel muß ich jedoch zunächst in Istanbul anfragen, und das erfordert.«
»Geld?«
»Eine Menge Geld. Mehr, als Ihr noch besitzt. Nun, kann ich die Namen haben?« Schemuel Hakohen, völlig erschöpft davon, wie die Dinge gelaufen waren - um ein Vielfaches verzwickter, als daß er noch hätte folgen können -, ergriff die Feder des Kaimakam und schrieb die Namen jener Juden nieder, auf die man sich verlassen konnte, daß sie das Geld zusammenbrachten, sofern sie überhaupt welches hatten. Als er ihre Namen zu Papier brachte, sah er die Gesichter seiner, Freunde vor sich: Mendel aus Berditschew, mit Bart und Pelzkappe; Scholem aus Wodsch, ein freimütiger Mann; Jossadak aus dem Nachbardorf, ein Kämpfer und ein Mann, der nichts von den Rabbinern hielt. Als ihm kein weiterer Name mehr einfiel, ließ er den Kopf auf den Schreibtisch sinken und weinte. Kaimakam Tabari hatte Verständnis für Schemuels Angst. Er ließ ihn eine Weile weinen. Dann beugte er sich zu Schemuel hinüber, faßte ihn bei der Schulter und fragte: »Was wäre ein Grundstück ohne Wasser?«
»Ich habe nicht wegen meiner Freunde geweint«, erwiderte Schemuel. »Ich mußte an jene denken, die gestorben sind und das Land nicht sehen können.« Und damit begann ein seltsamer Handel, den weder der Kaimakam Tabari noch Schemuel Hakohen jemals vergessen sollten. Tabari war davon überzeugt, daß dieser zähe kleine Jude doch noch irgendwo Geld für den Notfall zurückgelegt hatte. Und vor allem befürchtete er, daß er Hakohen, wenn dem das Land erst einmal sicher war, nie und nimmer wiedersehen würde. Damit aber wäre eine seiner ergiebigsten Quellen für Bakschisch versiegt. Und außerdem war ihm der Gedanke höchst zuwider, daß jemand mit Geld in der Tasche sein Amtszimmer betrat und es, immer noch mit dem Geld in der Tasche, wieder verließ. Einer plötzlichen Eingebung folgend und ohne wirklich darüber nachzudenken, tat er etwas völlig Unerwartetes. Er sagte: »Übrigens, Schemuel, habe
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