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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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mich doch entsinnen, wie es war, als ich im Schein der Fackeln nackt und bloß draußen vor der Stadtmauer stand. Da habe ich das Gesicht des Kaimakam erkennen können. Und das war das Gesicht eines Mannes, der solche Strafen nicht duldet. Und wenn dieser Tabari mir in den kommenden Monaten auch all mein Geld abnimmt - es kann nichts an der Tatsache ändern, daß er sich heute abend so verhalten hat, wie ein Mensch den Menschen behandeln soll. Warum aber hat er es getan? Über dieser Frage schlief Schemuel ein.
    Faradsch Tabari, allein in seinem Zimmer gedankenvoll zur Moschee hinüberblickend, stellte sich selbst die gleiche Frage. Er beantwortete sie sich so: Der Jude ist klein und hat einen verkrüppelten Rücken. Außerdem sieht er meinem Schwager ähnlich. Darum mußte ich ihn retten. Mein Schwager. Hoffentlich kommt er bald einmal nach Tabarije. Ich hätte so gern einmal seine Meinung darüber gehört, welche seiner neuen Ideen man wohl auf diesen Fall anwenden könnte.
    An das, was während der nächsten Tage geschah, wußte sich Schemuel später nicht mehr zu erinnern. Fast immer bewußtlos vor Schmerzen, lag er da, und in seinen Fieberträumen stürzten die Berge von Erez Israel über ihm zusammen - die Berge des Landes der Verheißung, aus dem man ihn durch die Steinigung ausgestoßen hatte. Bös schillernde Fliegen umschwärmten seine eiternden Wunden. Aber die beiden jüdischen Gemeinden von Tabarije überließen ihn seinem Schicksal. Die abergläubischen Sefardim sahen in ihm einen Verfluchten, und die rachsüchtigen Aschkenasim hofften, er werde sterben. Und den Arabern verbot uralter Brauch, das Viertel der Juden zu betreten. Einsam und hilflos lag Schemuel Hakohen. Und im Fieberwahn sah er sich selbst, wieder daheim in Wodsch, auf kühlen Waldwegen nach Holz suchend, das er aufkaufen konnte. Aber Schemuel, so klein und verwachsen er war, hatte eine zähe Natur. Er wurde auch ohne jede Hilfe wieder gesund. Doch als er zum erstenmal über die Gasse ging, um ein wenig Essen einzukaufen, begegnete er so haßerfüllten Blicken, daß er sich schnell wieder in seine Hütte zurückzog. Diese Blicke schmerzten mehr als die Steine. War er denn wirklich im Unrecht? War es ein Unrecht, Juden aus Europa hierher zu bringen und mit ihnen nach einem neuen Lebensinhalt zu suchen, nicht mehr abhängig sein zu wollen von mildtätigen Spenden? So schwach er sich auch fühlte, sagte er sich: Es ist kein Unrecht, und es kann geschafft werden. So ging er hinaus auf die Gassen von Tabarije, fest entschlossen, seinen Peinigern zu widerstehen. Als er jedoch abermals sah, wie die bärtigen Gesichter ihn anstarrten, als warteten sie nur darauf, ihn bei nächster Gelegenheit dem Schutz des Kaimakam zu entreißen, kehrte er verzagt in seine Behausung zurück und flüsterte: »HErr, Gott meiner Väter! In dieser bösen Stadt vermag ich nichts zu gutem Ende zu bringen.« Und er bereitete seine Flucht aus Tabarije vor. Er grub sein Geld aus dem Lehmfußboden und packte sein Bündel. In den schlecht sitzenden Kleidern, die ihm seine Peiniger auf Befehl des Kaimakam hatten geben müssen, schlich er sich aus der Stadt. Kinder sahen ihn gehen und liefen sofort zu ihren Vätern, es ihnen zu erzählen. Die aber unterbrachen ihr Talmudstudium, um den Flüchtigen zu verhöhnen, der in nördlicher Richtung davoneilte. In Safed traf Schemuel Verhältnisse an, die womöglich noch abstoßender waren als die in Tabarije. Alte, mißtrauische Juden hockten über ihrem Talmud, während die jungen Männer auf Diebstahl und Gaunereien ausgingen. Der Nimbus der Heiligkeit, der einst über dieser Stadt auf dem Berge gestrahlt hatte, gehörte der Vergangenheit an. Er ließ Safed hinter sich und erstieg die Höhen, die in westlicher Richtung lagen. Dort aber hatte er ein Erlebnis, das ihn, der schon jede Hoffnung verloren hatte, dem Werk erhielt, zu dem er bestimmt war. Denn eines Abends, als er über einen kahlen Hügel wanderte, von dem er wußte, daß er einst bewaldet gewesen war, stieß er auf eine kleine Siedlung. Und was er hier sah, führte dazu, daß er seine Meinung über die Juden in Israel gründlich änderte. Pekiin hieß die Siedlung, auf den ersten Blick lediglich ein Gebirgsdorf wie viele andere, mit engen Gassen um einen Brunnen und mit einer abseits versteckt liegenden Synagoge. Als Schemuel diesen Ort jedoch näher kennenlernte, entdeckte er, daß die Juden hier ein ganz anderes Leben führten. Sie saßen nicht tagaus tagein in der

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