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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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blieben stehen, denn es sah aus, als lauerten hier Heckenschützen. Während sie in der Dunkelheit kauerten, sahen sie etwas ebenso Erfreuliches wie Enttäuschendes: Über ihnen, so nah, als könne man es fast berühren, lag Safad; die Lichter des Araberviertels leuchteten durch die Nacht. Wie gern wären sie auf kürzestem Weg hinaufgestiegen in die Stadt! Aber sie wußten, daß sie die gefährliche Straße zu überqueren hatten, noch Stunden marschieren mußten, in aller Heimlichkeit, um dann in die sicheren Berge nördlich der Stadt zu gelangen, wo die Palmach-Kameraden warteten. Sich vom Anblick Safads zu lösen, war so schwer, wie einen hell erleuchteten Tanzsaal verlassen zu müssen, wenn man jung ist.
    »Los!« flüsterte Bagdadi. Sie rannten über die offene Straße und verschwanden im braunen Hügelland auf der Nordseite. Jetzt ging es den steilen Abhang hinauf, über den sie schließlich zu den Bergen im Rücken von Safad kommen mußten. Drei Uhr morgens. Acht Stunden marschierten sie schon. Ilana war der Erschöpfung nahe; sie trank jedoch nur einen Schluck aus der Feldflasche, die Bagdadi trug, und nahm ihr Gewehr auf die andere Schulter. »Ich trag’s«, erbot sich Gottesmann. Aber sie packte es nur noch fester, beugte sich nach vorn und stieg weiter.
    »Bleibt zusammen«, warnte Bagdadi. »Überall arabische Dörfer.« Eine ganze Stunde, bis seine Uhr vier zeigte, hielt er das tödliche Tempo ein. Selbst Gottesmann konnte kaum mit diesem erstaunlichen Iraker Schritt halten. Aber zurückbleiben, das gab es nicht. Es wäre der sichere Tod gewesen. So ging es weiter. Das erste Grau des kommenden Tages zeigte sich.
    Jetzt kam es ganz auf Bagdadi an. Irgendwo vor ihnen lag der Palmach-Stützpunkt. Aber bis zu diesem Dorf gab es andere Dörfer voller lauernder Araber. Hier den richtigen Weg zu wählen, ohne arabische Wachen aufzuscheuchen oder Palmach-Spähtrupps Anlaß zu Warnschüssen zu geben, das erforderte Spürsinn. Langsam, sorgfältig den Weg suchend, tastete sich der Iraker vorwärts. Gottesmann, der die Nerven fast verlor, fuhr ihn an: »Mann Gottes, vorwärts!« Sanft, als weise er ein Kind zurecht, antwortete Bagdadi: »Jetzt dürfen wir nichts falsch machen!« Wie ein schlauer Fuchs, der das Gelände abwittert, fand er den einzigen Pfad, der sie zwischen den Dörfern hindurchführte.
    Und dann - die drei waren noch immer mitten im arabischen Gebiet - erreichte die Sonne den Horizont, und das war ein böser Augenblick. Die Uhr zeigte zwanzig Minuten nach vier, die Dämmerung setzte ein. Jeder der drei Juden konnte die beiden anderen sehen. und viel zu deutlich. Ilana wollte nur noch eines - sich hinwerfen, wo sie gerade stand, und ausruhen. ausruhen. Aber kalte Angst packte sie, als sie das Gesicht ihres Mannes sah: das Gesicht eines Menschen am Rande völliger Erschöpfung. »Wir müssen weiter«, mahnte Bagdadi.
    Gottesmann konnte nicht mehr. Und vorn, hinten, links, rechts arabische Dörfer. »Nur noch eine Viertelstunde«, bettelte Bagdadi.
    Gottesmann vermochte nicht einmal zu antworten. In einer Senke zwischen den Felsen ließ er sich zu Boden fallen. Vor dem Dämmerlicht zeichnete sich seine Silhouette ab.
    »Bring ihn hoch«, zischte Bagdadi Ilana an. Trotz ihrer lähmenden Müdigkeit ging sie zu Gottesmann und zerrte ihn am Arm - ohne Erfolg. Jetzt lag die Verantwortung für das
    Unternehmen allein bei Bagdadi. Und gerade er war denkbar schlecht darauf vorbereitet, denn sein Leben lang hatte er, der Sefardi, sich von Aschkenasim leiten lassen: Zwei Jahre alt war er gewesen, Sohn einer großen irakischen Familie in Hebron, als die Araber 1929 alle Juden der Stadt in einem apokalyptischen Massaker erschlugen. Unter einem Bett versteckt hatte er erleben müssen, wie die rasenden Araber sieben Familienangehörigen die Hälse durchschnitten und die Leichen gräßlich verstümmelten. Eine genaue Erinnerung an das Furchtbare war ihm gnädig erspart geblieben, aber immer noch sah er undeutlich die Lachen von Blut, durch die er gekrochen war, nachdem das Schreien aufgehört hatte. Aschkenasische Juden hatten ihn gerettet. Als Waisenkind war er in Tel Aviv aufgewachsen, einer Stadt, in der die führende Rolle der Aschkenasim nicht in Frage stand. Die älteren Jungen, von denen er auf dem städtischen Schuttplatz verprügelt worden war, hatten alle zur Oberschicht gehört. Und als er dann herangewachsen war, hatte er bei der Stellungssuche feststellen müssen, daß überall Aschkenasim saßen; auch

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