Die Quelle
dreiunddreißig Männer und Frauen - um Mitternacht fünf Kilometer weit zu marschieren, dann zu robben und an den arabischen Posten vorbei in die Stadt einzudringen hatte. Feindliches Feuer war zu erwidern, auf keinen Fall aber durfte der Vorstoß ins Stocken kommen.
Die Einheit wurde von dem MemMem Bar-El geführt, einem drahtigen jungen Mann mit Bart, der stolz war auf seine gute Erscheinung, auf die Tatsache, daß seine Mutter eine Sabra war, und darauf, daß er nur Hebräisch sprach. Er hatte blaue Augen und rote Haare. Sein Titel MemMem war von den hebräischen Anfangsbuchstaben für das Wort Zugführer abgeleitet, und zum Zugführer war er, ein Mann mit dem beherrschten Instinkt des echten Soldaten, wie geschaffen. Blitzschnell erfaßte er die Lage, ebenso schnell gab er seine Befehle, und meist führte er sie als erster aus. In normalen Zeiten wäre Bar-El mit seinen zwanzig Jahren wohl ein Frauenheld gewesen. Jetzt war er ein bewährter Zugführer. Ein schönes Mädchen von siebzehn Jahren, schlank, mit dunklen Augen und einer klaren Haut, ging neben ihm. Sie war klein, in jeder Hinsicht; ihr Gesicht und ihr Körper wirkten eher wie die eines Kindes als die einer jungen Frau. Sie reichte Ilana nur bis zur Schulter, aber ihr Haar war hoch auftoupiert, wie bei einer Französin, damit sie etwas größer aussah. Das Käppi, das sie trug, drohte immer nach hinten abzurutschen, denn sie hatte es so aufgesetzt, daß das Mützenschild nach oben zeigte - auch dies, damit sie etwas größer aussah. Ganz anders als Ilana war sie, denn sie kleidete sich wie ein Mädchen, das Freude an schönen Sachen hat; an die übrigen für eine Sabra geltenden Regeln allerdings hielt sie sich: keinen Lippenstift, kein Rouge, keine Rasur. Sie war die Palmach-Schreiberin; alle nannten sie nur Vered, was hebräisch Rose bedeutet. Bar-Els Einheit hatte sie sich auf die denkbar einfachste Weise angeschlossen: Eines Morgens war sie aufgetaucht und hatte sich erboten, mitzumachen. Und seitdem war sie mit jedem
Quartier zufrieden gewesen, das der MemMem für sie finden konnte. Fragte man sie, was sie nach dem Krieg vorhabe, so lautete ihre Antwort: »Ich werde studieren.« Nach und nach bekamen die Männer der Einheit ihre Geschichte heraus. Sie stammte aus einer angesehenen Arztfamilie in Tel Aviv; ihre Eltern wußten nicht, wo sie war, und sie hatte auch nicht die Absicht, es ihnen zu sagen, ehe der Sieg erkämpft war. Manchmal sahen die Männer sie weinen. Das war ihr peinlich. Was aber das Unwahrscheinlichste war: So entzückend sie aussah - sie hatte keinen Freund und erlaubte niemandem, sie auch nur zu berühren; Bar-El spielte eigentlich nur die Rolle ihres Wachhunds. Gottesmann war daher überrascht, als das zierliche Mädchen den Klapptisch zusammenlegte, der den ganzen Palmach-Befehlsstand ausmachte, ihn sich unter den linken Arm klemmte, sich außerdem Gepäck auf den Rücken lud, bis sie die üblichen dreißig Kilo für ein Mädchen auf dem Marsch beisammen hatte, und dann ein Gewehr in die Rechte nahm. Am liebsten hätte Gottesmann sich zu ihr hinabgebeugt, sie geküßt wie ein Kind und gesagt: »Du kannst deine Spielsachen hinlegen, Vered.« Aber es war diesem Mädchen anzumerken, daß nichts sie von dem Unternehmen gegen Safad abhalten konnte. Die Juden aßen spät und schlossen dann wie gewöhnlich die Häuser ab, als gingen sie schlafen. Einige Palmachniks, die nicht für das nächtliche Unternehmen eingeteilt waren, bezogen Posten am Rand des Dorfes und ließen sich gelegentlich sehen, so daß arabische Späher nichts Auffallendes bemerkten. Ein paar Hunde liefen durch die Gassen und bellten laut - das Dorf wirkte wie sonst. Kurz vor Mitternacht ließ MemMem Bar-El seinen Zug antreten. Leise und schnell verschwanden die sechsundzwanzig Männer und sieben Mädchen und verloren sich in dem tiefen Wadi, das von Norden nach Süden an Safad vorbeilief. Kein Araber hatte sie gesehen.
Einer nach dem anderen stiegen sie leise die steilen Wände des Wadi hinab. Die Bewaffnung des Zuges bestand aus einem Sten-Granatwerfer, einem Vickers-Maschinengewehr, das sie den Engländern gestohlen hatten, einem Mauser- und einem Garand-MG, einem Armvoll tschechischer Gewehre und aus Revolvern und Pistolen verschiedener Herkunft. In der Mitte der Einheit ging ein kleiner Esel, der mit vier Hotchkiss-MGs beladen war. Drei Mann trugen Tarnjacken, die man einer schottischen Truppe entwendet hatte. Gottesmann, der am Schluß der Gruppe ging,
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