Die Quelle
Eliav fort, »daß, wenn Sie ein junger, romantisch veranlagter Engländer wären, der soeben von seinem Schiff in Haifa gekommen ist, wohin würden sich Ihre Sympathien.«
»Sympathien, Unsinn«, widersprach Tabari. »Mit wem würde man schon ins Bett gehen wollen? Mit Mustafa ibn Ali von der
Oase Zur Wedelnden Palme, oder mit Mendel Ginsberg, dem ein Konfektionsladen in der Herzl-Straße gehört?« Cullinane fand, daß das Gespräch unerträglich wurde. Darum fragte er: »Finden Sie trotzdem, daß die Engländer den Verhältnissen entsprechend einigermaßen anständige Arbeit in Palästina geleistet haben?«
»Ja«, sagte Eliav.
»Als Araber«, setzte Tabari hinzu, »muß ich sagen, daß nur die Engländer die Dinge so gut zu handhaben verstehen, wie es hier der Fall war.«
»Dann empfinden Sie keine Bitterkeit?« fragte Cullinane den Juden. »Gegen die Geschichte kämpfe ich nie«, erwiderte Eliav. »Gegen die Zukunft, ja. Und als ich gegen die Engländer kämpfte, haben sie die Zukunft repräsentiert. Ich mußte mich einfach gegen sie stellen.«
»Sag uns die Wahrheit«, bettelte Tabari wie ein Kind. »Bist du in deinem heutigen Urteil nicht deshalb so großmütig, weil es da jemanden gab, als du in der Britischen Armee gedient hast. war da nicht ein Offizier. nun, ein bißchen extra nett zu dir? Komm schon heraus damit, Eliav. Wir haben Verständnis dafür.«
»Es ist merkwürdig«, antwortete Eliav, »aber sie waren alle verdammt anständig, und das werde ich nie vergessen.«
Mitten durch Safad führt von der Polizeistation bis hinunter zum Friedhof mit den Gräbern der großen Rabbinen - Elieser, Abulafia, Zaki - eine schöne Treppe aus fein zubehauenem Kalkstein. Ihre zweihunderteinundsechzig Stufen sind von einundzwanzig Absätzen unterbrochen und sehr breit. Fest und dauerhaft sieht diese Treppe aus. Von ihr wird man sich noch lange in Israels Geschichte erzählen, denn sie war von den Engländern einzig zu dem Zweck erbaut worden, das arabische
Viertel von dem jüdischen zu trennen. Einige hatten damals gesagt: »Sie an, die Engländer machen sich die Mühe, ganz offiziell eine Schranke zwischen Arabern und Juden zu errichten. Sie wollen der Trennung Dauer verleihen, denn wenn sie die beiden Gruppen auseinanderhalten, können sie ihren Vorteil aus der Angst der einen oder der andern ziehen und behalten für sich das Recht, alle beide zu beherrschen. Die Treppe schafft neue Unterschiede, die sonst nicht entstanden wären, und sie erhält andere aufrecht, die sich sonst aufgelöst hätten. Wenn man in Israel ein Denkmal englischer Käuflichkeit sucht, braucht man sich nur die zweihunderteinundsechzig Stufen in Safad anzusehen.« Man konnte aber auch sagen: »Die Geschichte von Safad läßt sich zurückverfolgen bis in die Zeit kurz nach Christus. In diesen rund zwei Jahrtausenden ist Safad von den verschiedensten Herren regiert worden, aber soviel wir wissen, hat es immer ein Viertel gegeben, in dem nur Juden lebten, und ein anderes, in dem die Nichtjuden wohnten. Es hat Synagogen und Kirchen gegeben, dann Synagogen und Moscheen, und jede Gruppe hielt an dem Ihren fest. Die Engländer haben also mit dem Bau der Treppe lediglich den bereits bestehenden Brauch anerkannt und der Tradition, die so alt ist wie die Stadt, sichtbare Form verliehen. Die schöne Treppe hat Safad gar nicht geteilt. Die Teilung von Safad hat nachgerade die Treppe erfordert. Vielleicht kommt einmal die Zeit, daß man die Treppe abtragen kann. Aber während der englischen Besatzung war das nicht möglich.« Und die unparteiische Stimme der Geschichte hätte sagen können: »Die Wahrheit liegt irgendwo in der Mitte. Ich kann mich an Epochen von Jahrhunderten Dauer erinnern, während derer Juden und Araber sich bei gutem Einvernehmen in die Stadt teilten. So war es in der frühen Zeit Mohammeds. Auch während der Zeit der Kabbalisten hat es keine Spannungen gegeben. Und noch in diesem Jahrhundert, vor dem großen Massaker von 1929, lebten Juden mitten im arabischen Viertel. Auf der anderen Seite kann ich mich auch an trostlose Zeiten erinnern. Die Kreuzritter haben alle Juden von Safad getötet. Im Jahre 1834 kam es zu einem schrecklichen Pogrom - ich glaube nicht, daß damals Engländer die Herren von Safad waren. Und wer kann sich jetzt noch genau erinnern, warum diese schöne Treppe gebaut wurde? Ich weiß nur, daß die Treppe zwischen 1936 und 1948 zwei Völker trennte, die Krieg gegeneinander führten; und nachts, wenn der
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