Die Quelle
Gottesmann suchte den Schlaf, um all dem zu entkommen. Am Morgen des dreizehnten Mai aber kam Teddy Reich in das Haus gestürzt. Seine Augen leuchteten vor Freude, als er flüsterte: »Lan! Wir müssen Gottesmann wecken. Diese Neuigkeit!«
»Laß ihn schlafen«, antwortete Ilana. Doch der kleine Teddy packte ihre beiden Hände mit seiner einen, tanzte einen Augenblick wie betrunken umher und küßte sie. Ilana drückte ihn auf einen Stuhl.
»Es ist nicht zu glauben, und ich wollte es gleich Gottesmann sagen«, flüsterte Teddy Reich. »Das Fort.«
»Was ist?« fragte Ilana. Nie und nimmer würde sie es Teddy Reich eingestehen, daß sie den Verdacht hatte, Gottesmann habe sich deshalb aus der Realität in die Ohnmacht geflüchtet, weil die Vorstellung, nun auch noch dieses fürchterliche Fort stürmen zu müssen, über seine Kräfte ging.
»Du weißt, welche Sorgen uns dieses Fort gemacht hat?« Teddy blickte auf den schlafenden Mann. »Vielleicht hat ihn das in den Schlaf getrieben.« Plötzlich, von Mitleid überwältigt, senkte der Palmach-Kommandeur den Kopf und legte seine eine Hand über sein Gesicht. Ein gewöhnlicher Mann hätte Tränen in den Augen gehabt - Teddy Reich wollte nur das Zittern seines Kinns verbergen. Dann flüsterte er: »Heute morgen sind zwei Jungen von einem Dorf in den Bergen zu dem Fort gegangen. Die Tür war offen. niemand drinnen. Sie haben uns Geheimdokumente gebracht. Dinge, die du nicht für möglich halten würdest. Ich bin dann selbst hinaufgegangen.« Nun lachte Teddy Reich. Dann erhob er sich, ging in seiner heftigen Art in dem kleinen Zimmer auf und ab, zog mit seiner einen Hand aus der Kartentasche einen Stoß Papiere und reichte sie Ilana. Es waren Geheimbefehle an die arabischen Offiziere, alle arabischen Zivilisten aus Palästina zu evakuieren: »Weist sie an, größte Verwirrung zu stiften. Jedes normale Leben muß unterbrochen werden. Versichert ihnen, daß innerhalb von sieben Tagen die arabischen Armeen ganz Palästina erobern werden und daß sie dann zurückkehren und nicht nur ihren eigenen alten Besitz fordern können, sondern jeden jüdischen, den sie wollen.«
Reich stopfte die verräterischen Papiere in seine Tasche und murmelte: »Es war nicht die Atombombe, die sie verjagt hat. Es war ihre eigene korrupte Führung.« Breitbeinig stand er vor Ilana und sagte feierlich: »Du und ich und Gottesmann. dreißig Tage hätten wir das Fort gehalten. Aber die Araber. beim ersten Zeichen eines Angriffs sind sie auf und davon.« Er brach in ein wildes Gelächter aus - das einzige Mal war es, daß Ilana ihn so erlebte -, und voller Verachtung zeigte er auf sich: »Der große General! Drei Tage beiße ich mir auf die Fingernägel wegen dieses gottverdammten Forts. und es steht leer! Und schließlich haben es meine heldenhaften Truppen gestürmt. zwei kleine Jungs!« Daß nun auch das Fort in den Händen der Juden war, versetzte Ilana in gehobene Stimmung. Aber das konnte nicht lange anhalten, denn in diesen Tagen bedeutete jeder Sieg, der an einer Stelle errungen war, nicht das Ende, sondern den Anfang neuer Verantwortung. Und schon kam Teddy auch zum eigentlichen
Zweck seines Besuchs: »Sie brauchen uns in Acre, Lan. Wir fahren nach Sonnenuntergang.«
Ilana wußte, was nun folgte, und deshalb sagte sie mit einigem Widerspruch: »Warum Acre?«
»Genau dasselbe wie in Safad. Eine Schlüsselstellung. Viele Araber. Keine Juden. Wir müssen es schnell nehmen.«
»Du befiehlst uns, daß wir mitmachen?«
»Ich muß. Kann Gottesmann?«
»Er wird können«, sagte sie. Nachdem Teddy Reich gegangen war, weckte sie ihren Mann und sagte ihm: »Heute abend geht’s nach Acre.« Er sagte kein Wort, stand aber auf und zog sich an. Seiner Frau wollte es scheinen, als habe der lange Schlaf ihm die Gewalt über sich selbst zurückgegeben -zum mindesten hatten sich seine Nerven beruhigt.
Am Nachmittag schlenderten die beiden Liebenden durch die Stadt, zu deren Rettung sie so viel beigetragen hatten. Sie stiegen hinauf zur Burgruine und blickten auf den See, dorthin, wo ihre Liebe begonnen hatte. Dann gingen sie hinab zu den von den Arabern im Stich gelassenen Moscheen. Der künstlerische Schmuck dieser heiligen Stätten des Islam war offensichtlich viel schöner als alles, was die Juden in ihren Synagogen vorzuweisen hatten. Gottesmann sagte: »Wir müssen alle diese Moscheen bewahren, bis die Araber zurückkommen.« Sie setzten sich und sahen eine Weile auf Galilaea hinab. Dann
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