Die Quelle
flüsterte Ilana: »Ich bin nur über eines traurig, Gottesmann. Ich wollte, ich erwarte ein Kind.« Und ehe ihr Mann etwas darauf erwidern konnte, fuhr sie fort: »Ich würde heute abend so gern von Safad fortgehen in dem Gedanken, daß, während ihr, du und Reich, einen neuen Staat baut.« Er wollte sagen, daß sie und Vered mindestens genausoviel getan hatten, um ein neues Israel zu errichten, aber er vermochte seine Gedanken nicht in Worte zu fassen. So kehrten sie in das jüdische Viertel zurück, um sich von Rebbe
Itzik zu verabschieden, der ihnen nun ein Freund geworden war, »unser schwieriger Freund«, wie ihn Ilana nannte. Auf dem Weg kamen sie an der Polizeistation vorbei. Gottesmann mußte daran denken, wie Nissim Bagdadi dieses Bollwerk der Araber einzig und allein mit der Kraft seines Willens bezwungen hatte; dort, wo Bagdadi gefallen war, blieb er zitternd stehen - abermals hatte er seine Fassung verloren. Aber nach einer Weile ballte er die Fäuste und bezwang sich. »Wir hätten ihn so nötig gebraucht«, sagte er. Ilana fragte sich ernsthaft, ob Reich ihren Mann wirklich in Acre haben wollte. Erst nachdem Gottesmann seine Beherrschung völlig wiedergewonnen hatte, verließen sie die Stätte, die so schreckliche Erinnerungen in ihm geweckt hatte.
Rebbe Itzik drückte dem Paar zum Abschied die Hand. »Heiratet«, sagte er und sah dabei Ilana noch immer nicht an.
Ilana erwiderte: »In einer Hinsicht haben Sie nicht recht gehabt. Wir haben Safad genommen.«
Der Wodscher Rebbe lächelte. »Ein Wunder des Allmächtigen hat es bewirkt. Das Wunder und die Macht der Natur.«
»Meinen Sie den Regen?« fragte Ilana.
»Nein«, entgegnete der Rebbe. »Daß der HErr herabgekommen ist, um Seinen Juden im Regen zu helfen, war nur selbstverständlich. Das Wunder bestand darin, daß so viele Juden für eine gemeinsame Sache gemeinsam kämpfen konnten.«
»Wir werden uns wiedersehen«, sagte Ilana, »in Israel.«
»Dann beginnen wir den wahren Kampf«, erklärte der Rebbe mit Nachdruck. »Um die Seele Israels.«
Am Abend verließ ein Lastwagen mit Teddy Reich und einer Kampfgruppe erprobter Palmachniks Safad, um als Verstärkung zu den jüdischen Truppen zu stoßen, die den wichtigen Stützpunkt Acre einnehmen sollten. Sie fuhren ohne
Licht, um nicht die arabischen Spähtrupps zwischen Safad und der Küste aufmerksam zu machen. Alles ging gut, bis der Wagen sich dem Tell Makor näherte, der ein Jahrtausend lang diese Straße gesichert hatte. Dort hatten Araber gerade den Kibbuz überfallen; sie richteten das Feuer auch auf den Lastwagen. Teddy Reichs Palmachniks griffen sofort in den Kampf ein. Nach heftigem Gefecht rief MemMem Bar-El: »Sie laufen davon. Erledigt sie!« Die Juden schwärmten über den Tell aus. Alle schossen auf die weichenden Araber. Plötzlich stellte sich einer der Feinde. Mit einem Feuerstoß traf er Ilana Hakohen. Kopfüber fiel sie den Hang hinab. Als Reich zu ihr kam, war sie bereits tot. Er sagte zu zwei Palmachniks: »Holt Gottesmann.« Sie trafen den deutschen Juden, wie er, gerade von der Verfolgung zurückkommend, auf den Hügel kletterte, jetzt, nach dem Gefecht, wieder ganz Herr seiner selbst. »Hierher«, rief Bar-El. Gottesmann lief durch die Dunkelheit zu der Stelle, wo seine Freunde um einen am Boden liegenden Körper standen. »Habt ihr einen Araber gefangen?« fragte er. Die schweigenden Gestalten traten auseinander, und da sah er, daß dort Ilana Hakohen lag. Tot. Ihre Hände umklammerten noch immer das englische Gewehr.
Ein schrecklicher Schrei entrang sich seiner Kehle, ein ungewollter, langgezogener Schrei der Klage. Sinnlos preßte er beide Hände auf die Brust - alles, was sich seit Jahren in ihm angesammelt hatte, brach über ihm zusammen. Die Selbstbeherrschung, die er eben erst wiedererlangt hatte, fiel von ihm ab. Neben seiner tapferen toten Frau fiel er in die Knie. Noch vermochte er nicht ganz zu begreifen, was geschehen war - Ilanas Tod kam zu bald nach Bagdadis Tod, und das war mehr, als er ertragen konnte. Ein Mann mag zehn Jahre Krieg und einen schweren Schlag nach dem andern hinnehmen - den Tod seiner Familie, den Verrat an den Kameraden im Untergrund, die Erschießungen englischer
Kameraden durch Deutsche, den Anblick ertrinkender jüdischer Flüchtlinge vor der italienischen Küste, den Tod des lächelnden Bagdadi zu einer Zeit, als er am dringendsten gebraucht wurde -, zehn solche Jahre konnte ein Mann ertragen, aber nicht zehn Jahre und einen Tag.
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