Die Quelle
in dem sich zugleich durch Umwandlungsvorgänge die kieselige Substanz aus den Resten abgestorbener Lebewesen zu den Knollen des Flints verdichtete. Noch in Urtagen der Erde hatten gewaltige Kräfte des Erdinnern den einstigen Meeresboden gehoben, so daß er nun die Klippen der Küste bildete. Der Flint aber, das war jener Feuerstein, aus dem die frühe Menschheit ihre Werkzeuge schuf - bis in jene Zeit, da, ebenfalls an den Ufern des Brüllenden Meeres, die Bronze erfunden wurde. Mehr als hundert Millionen Jahre mögen vergangen sein seit der Entstehung des Kalkgesteins und des Flints, und vor rund einer Million Jahre mag der Mensch entdeckt haben, daß sich aus Feuerstein Gerät und Waffen herstellen ließen, und - nicht minder wichtig - daß er aus zwei solchen Steinen den Funken schlagen konnte, der die wärmende Flamme entzündete. Und nun hatte Urs Sohn einen riesigen Schatz dieses lebenswichtigen Materials. Er schlug dem Jäger die anderen Spitzen zurecht, und für seine Schwester machte er drei Ahlen, mit denen sie Häute für die Familie zusammennähte. Eines Tages schlug Ur ihr vor: »Du solltest auch für den Jäger eine neue Haut nähen.« Sie tat es, wenn auch etwas widerstrebend, denn immer noch trauerte sie dem toten Hund nach. Da dauerte es nicht mehr lange, und der Jäger baute eine runde Hütte für sie und das kommende Kind. Den Hund aber, der sich ihr auf dem Felsen so voller Vertrauen genähert hatte, hat sie nie vergessen.
Urs Sohn, der nun immer an seinen Feuersteinen arbeitete, bat eines Tages den Jäger, der jetzt sein Schwager war, ihm
einen Knochen von bestimmter Form und Größe zu suchen. Als er ihn erhielt, zog sich der Junge für einige Zeit zurück. Dann brachte er seiner Mutter ein ganz neues Gerät, eine Sichel, ein gebogenes Messer: Fünf Feuersteine waren in den Knochen getrieben, mit kurzen Lederriemen festgebunden und außerdem mit einer Masse aus Zypressenharz und Honig festgeklebt. Dieses wunderbare Werkzeug umfaßte mit seiner gebogenen Spitze die Weizenhalme und hielt sie an die Schneiden wie ein weit ausgestreckter Arm. Alle aus der Höhle kamen und sahen voll Neid das unbegreiflich Scheinende: wie die Mutter mit ihrem Arm weit ausholte, den Weizen zu sich heranzog und ihn noch mit derselben Bewegung schnitt.
Es kamen die guten Zeiten an der Quelle, wie sie die Menschen überall ab und zu erleben dürfen - kurze Zeiten, die viele Jahre erträglich werden lassen. Urs Weib und sein Sohn arbeiteten auf den Feldern und hatten immer neue Einfälle, die Erde fruchtbar zu machen. Die Sonne schien, als sei sie einverstanden, und es regnete gerade genug und niemals zu stark. So viel Getreide ernteten die zwei, daß sie auch fast alle Höhlenbewohner ernähren konnten. Deshalb begannen die Männer ihren Frauen heikle Fragen zu stellen: »Warum kannst du nicht, was Urs Frau kann?« Urs Tochter sorgte für ihr Erstgeborenes und wünschte, daß wieder ein Vogel aus dem Nest falle, damit sie ihn aufziehen konnte, aber es geschah nicht; die bunten Bienenfresser schossen durch das Wadi, die Haubenlerchen folgten den Schnittern und pickten die Körner auf. Manchmal sprang ein Reh über die Felder jenseits des Felsens, und aus den Zypressen riefen die Eulen. Wie schön diese Tage waren!
Ur und sein Schwiegersohn verlebten diese goldenen Tage wie in einem nie endenden Traum. Durch den jungen Mann war in Ur die alte Freude an der Jagd wiedererweckt worden. Jeden Morgen brachen die beiden zu weit entlegenen Stellen des Wadi auf oder zu den Rändern der Sümpfe. Es war lustig, sie losziehen zu sehen: der Junge kräftig ausschreitend voran, und hinterher trabte der untersetzte Alte auf seinen krummen Beinen, dem Jäger seine Lehren zurufend, damit er bald alle Geheimnisse des Landes kenne. Manchmal, wenn sie auf die Fährte eines Ebers gestoßen waren, ließ Ur, der bei der Fährte blieb, seinen Schwiegersohn zur Höhle eilen, die anderen zu gemeinsamer Jagd zu holen. Meist aber gingen die beiden allein, denn so war es Ur am liebsten.
Dann und wann spürte Ur die Drohungen des Todes. Einige Zähne waren ihm ausgefallen, und wenn er zwei oder drei Stunden rasch bergauf gegangen war, atmete er schwer. Er fühlte, daß er einmal sterben müsse, und ihm war bange vor dem Tod. Um so mehr Freude aber hatte er an dem Schwiegersohn, weil der ein so tüchtiger Jäger war, schnell, mutig und tapfer, wie Ur es sich von seinem Sohn gewünscht hatte. Er warf den Speer besser als Ur, und wenn Ur Zeit
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