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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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Verlust. Der Jäger war ganz bestürzt über den Gefühlsausbruch des Mädchens. Er war von Norden her gekommen, durch tiefe Wadis und über waldige Höhen. Daß er ein kundiger Jäger war, bewies sein Speer, der genau getroffen hatte. Ur sah auf den kräftigen jungen Mann, er sah seine sehnigen Schenkel, dachte an seine eigene Jugend und sagte: »Bleib eine Weile bei uns.« Die Männer verließen den Felsen, auf dem das Mädchen in Kummer versunken zurückblieb.
    Erst später merkte der junge Jäger, daß seine Speerspitze abgebrochen war. Er fragte deshalb Ur, ob er geschärfte Feuersteine besitze; er wolle einen neuen an den Schaft binden. Ur deutete nur auf seinen Sohn und sagte mit einiger Herablassung: »Er bearbeitet den Feuerstein.« Der Jäger zeigte dem Jungen, was er brauchte. Dieser ging an die Arbeit. Er nahm ein Stück Feuerstein, das noch in dem weißen Gestein steckte, so, wie er es gefunden hatte. Es gab damals nichts, womit man den Feuerstein hätte schneiden können. Wer aus einem Feuerstein eine Waffe oder ein Werkzeug fertigen wollte, mußte deshalb genau auf dessen inneres Gefüge achten und ihn danach zurechtschlagen. Urs Sohn verstand sich auf diese Kunst. Erst entfernte er den weißen Kalkstein. Nun hatte er den darin liegenden dunklen Knollen in der Hand. Geduldig arbeitete er an seinem dicken Ende weiter, schlug kleine Splitter ab, bis er eine glatte Fläche vor sich hatte. Die betrachtete er nun genau, als wolle er in die Geheimnisse des Steins eindringen. Dann hielt er das schmale Ende des Steins gegen ein Holzstück, betastete mit der Linken die Rillen und Linien der glatten Fläche, nahm einen spitzen Stein und preßte ihn gegen sie. Und jetzt schlug er mit einem kleineren Stein in der Rechten einmal schwach auf, kaum stark genug, eine Wespe zu töten. Ein großes Stück Feuerstein brach ab; genau wie er es gewollt hatte, ließ der Stein eine glatte, glänzende, spitz zulaufende Fläche erkennen. Geschickt drehte er ihn um, klopfte abermals leicht auf und schlug ein zweites Stück ab. So fuhr er eine Weile fort; ein Stück nach dem anderen fiel ab, bis er zuletzt eine Spitze in der Hand hielt, so lang und so kräftig, daß sie auch die dickste Haut durchstoßen konnte. Der Jäger hatte ihm gespannt zugesehen. Und nun tat jedoch der Junge etwas in der Heimat des Jägers Unbekanntes: Er legte die fertige Speerspitze flach hin und sägte mit einem gezackten Feuerstein an der Seite zwei tiefe Kerben ein, damit man sie besser am Schaft befestigen konnte.
    »Er ist der beste Steinschläger, den ich je gesehen habe«, sagte der Jäger bewundernd.
    »Er kann aber überhaupt nicht jagen«, antwortete Ur. »Kannst du noch zwei oder drei andere Spitzen zurechtschlagen?«
    »Im Wadi hier gibt es nicht viel Feuerstein«, antwortete der Junge. »Du brauchst Feuerstein?« rief der Jäger, »du kannst ihn haben.« Und er erzählte von einer weißen Klippe, die sich aus dem Brüllenden Meer erhebe, zwei Tagemärsche weit nach Sonnenuntergang zu. Dort gebe es viel Feuerstein, so viel, daß ein Mann in wenigen Stunden für den Rest seines Lebens genug habe. Das war der Beginn ihrer Freundschaft.
    »Weißt du den Weg?« fragte Ur.
    »Gewiß. Denn ich bin Jäger!« Er führte Ur und seinen Sohn auf Wildwechseln durch den Wald nach Westen. Am zweiten Tag erreichten sie das in der Sonne glitzernde Brüllende Meer, das der Junge noch nie gesehen hatte. Der Jäger brachte sie zu den weißen Klippen, von denen er erzählt hatte. Was Urs Sohn nun sah, konnte er kaum fassen: hochaufgetürmte Felsen, und darin ganze Lagen von Feuersteinen. Von einer Stelle aus konnte er fünfzig, hundert, ja tausend Flintknollen erreichen, die nur darauf zu warten schienen, aus dem leicht zu brechenden weißen Gestein gelöst zu werden. Seine Augen leuchteten; er zeigte seinem Vater und dem Jäger, welche Art von Steinen er brauchte: »Solche, die länger als breit sind.« In ein paar Stunden hatten die drei Männer so viel, wie sie nur tragen konnten.
    Diese Kalkfelsen mit ihren Bänken von Flintknollen waren eines der großen Wunder der Natur. Vor undenklichen Zeiten hatte dort, wo sich jetzt die Klippen erhoben, sich das Meer erstreckt. Millionen von Jahren hindurch waren Myriaden von Gehäusen winziger Tierchen zu Boden gesunken, hatten sich Schicht um Schicht abgesetzt, zusammen mit den Resten anderer Lebewesen der See. Unter dem stetig steigenden Druck der sich ablagernden Massen hatten sich diese zu Kalkgestein verhärtet,

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