Die Quelle
seinem Feuerstein schlug, war er sich dessen bewußt, daß es den Berg, von dem es hieß, auf ihm wohne El-Schaddai, nicht gab - nicht gab im sonst üblichen Sinn des Wortes. Denn es wäre frevelhaft gewesen sich vorzustellen, ein so mächtiger Gott sei auf einen bestimmten Platz angewiesen, mit einem Zelt, einem Lager und einer Beischläferin. Kein Mann von Vernunft konnte sich einem derart eingeengten Gott anvertrauen. El-Schaddai war ein Gott von so alles durchdringender Macht, daß Er nicht an einem einzigen Berg weilen konnte, es sei denn, der Berg wäre wie der Gott - fern und allgegenwärtig, oben und unten, nie gesehen noch angerührt, nie sterbend und nie geboren werdend. Ein Einziger Gott, alle anderen überragend und wohnend in einem Berg des Geistes, einem Berg so hoch und so weit, daß er die ganze Erde umfaßte und die gestirnten Himmel dazu.
Aber im Besitz dieses Gottes zu sein, war die Ursache der Befürchtungen, die Zadok gerade jetzt bewegten. Denn der alte Mann spürte, daß ein solcher Gott niemals der Gott von Menschen hätte sein können, die in einer Stadt leben, oder von seßhaften Bauern, die in Flußtälern siedeln. Dort mußten sichtbare Götter, die man versöhnlich stimmen konnte, schützend ihre Hand über den Lauf der Jahreszeiten halten -Götter, an bekannten Orten lebend, über die sie eine begrenzte Hoheit ausübten. Seßhafte Menschen brauchten sichtbare Götter, zu denen sie immer wieder gehen konnten; sie brauchten Götterbilder und Tempel. Nomaden jedoch, die, ausgesetzt der Wüste, von einem Wasserloch zum unbekannten nächsten zogen; die als bewußte Tat ihres Glaubens allen ihren Besitz und alle, die sie liebten, mit sich nahmen; die blind vertrauten, daß der Weg ihnen vorgezeichnet war und sie nach vielen Tagen, in denen der Tod nach ihnen griff, doch die vorbestimmte Quelle am geahnten Ort finden mußten - solche Nomaden konnten sich nur einem Gott überantworten, der die ganze Wüste und noch die jenseitigen Berge übersah. Vertrauen auf El-Schaddai, den Unsichtbaren, den Einen, war ein Glauben, der äußerste Zuversicht forderte, denn zu keiner Zeit ihres Lebens konnten die Wandernden sicher sein: Wie oft waren Männer zu einem Wasserloch gekommen und hatten es trocken gefunden. Sie konnten nur vertrauen, daß El-Schaddai sie durch die öde Weite der Wüste unversehrt geleitete, wenn sie Ihm in Ehrfurcht anhingen und ihre Windharfen auf die Seine abstimmten. Von seinen Feuersteinen aufblickend, wandte Zadok sein Gesicht zu dem nun schweigenden Busch und sprach, als berichte er einem erfahrenen Ratgeber seines Lagers: »El-Schaddai, ich bin endlich bereit, mein Volk nach Westen zu führen.« Der Busch blieb stumm.
Seit siebenundfünfzig Jahren, seit seiner Kindheit, hatte Zadok, der Sohn Zebuls, mit El-Schaddai gesprochen, und getreu den Weisungen des Einen Gottes hatte er seine Sippe in der Wüste zurückbehalten, während andere nach Süden aufbrachen und Abenteuern begegneten, deren man sich noch lange erinnern sollte. Jahrhunderte zuvor schon war der Stammvater von allen, Abraham, mit seinem Sohn Isaak nach Ägypten hinabgezogen, wo ihre Nachkommen jetzt in der Sklaverei schmachteten. Lots Sippe hatte sich in der Stadt Moab niedergelassen. Die Söhne des Esau hingegen hatten Edom erobert. Vor kurzem hatte sich der Stamm Naphtali aufgemacht, um das Hügelland im Westen zu besetzen. Zadok aber war mit den Seinen in der nördlichen Wüste geblieben und hatte auf El-Schaddais klares Wort, das ihn aus der einsamen Wüste führen sollte ins Land der Verheißung, gewartet.
Die Wüste, in der die Hebräer seit so vielen Generationen lebten, bestand aus dreierlei Landschaft. Da waren zunächst die sandigen Einöden, in denen nichts wuchs. Die Nomaden mieden sie, denn kein Mensch konnte sie durchqueren, auch nicht mit Eseln. (Als später das Kamel gezähmt war, wurde es möglich, diese Öden zu bewältigen, doch noch war es nicht soweit.) Da waren außerdem weite Strecken Geröll und dürres Land, darin gelegentlich Oasen an nicht versiegenden Wasserstellen; hier vermochten Menschen, die Esel hielten, gerade knapp zu leben. Diese Art Wüste wurde »die Wildnis« genannt. Und endlich waren da ausgedehnte Strecken halbdürren Landes, die an die Ackerflächen angrenzten; hier reichte das Wasser zum regelmäßigen Weizenbau oder zum Gedeihen der Ölbäume nicht aus, wohl aber konnten Schafe und Ziegen weiden. In solchen Gebieten hatte Zadok mit seiner Sippe in den letzten vierzig
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