Die Quelle
ist ein Fusionsreaktor etwas anderes als ein Atomreaktor. Die Gemeinsamkeit ist, dass am Ende die Energie steht, die Wasserdampf erzeugt, der Turbinen antreibt, womit wiederum über Generatoren Strom in unvorstellbaren Mengen erzeugt wird. Dieses generelle Grundprinzip wird auch in den Kraftwerken angewandt, die mit Kohle, Gas oder Wasserkraft zur Stromerzeugung betrieben werden.«
»Habe ich verstanden.« Benn nickte, als Hagen ihn fragend ansah.
»So. Jetzt zum Unterschied.« Hagen drückte die Fingerspitzen gegen seine Nasenspitze. »Bei den sogenannten Atomreaktoren gewinnt man die Energie zur Dampferzeugung, womit die Turbinen zur Stromerzeugung angetrieben werden, aus der Kernspaltung. Man zertrümmert Atome, und beim Zertrümmern wird Energie frei. Aber nicht nur die, sondern auch hochgiftige Gammastrahlung. Anders bei der Kernfusion. In Fusionsreaktoren lässt man Atomkerne zusammenstoßen und verschmelzen und gewinnt aus dem Verschmelzungsprozess Energie.«
»Und das ist nicht gefährlich?«
»Lange hat man geglaubt, dass auch bei der Kernfusion hochgiftige Gammastrahlung entstehen müsste. Heute ist man weiter. Als Rohbrennstoffe werden Deuterium, eine besondere Form von Wasser, und Lithium eingesetzt. Beides ist ungiftig. Aus dem Lithium wird im Fusionsreaktor Tritium erzeugt, das mit dem Deuterium reagiert. Das erst im Reaktor erzeugte Tritium ist radioaktiv, es ist ein Betastrahler.«
Benn bemerkte Hagens forschenden Blick. »Es fällt mir schwer, aber noch kann ich folgen. Wenn Sie mir nur sagen würden, was Betastrahler sind.«
»Nun gut.« Hagen lächelte nachsichtig. »Betastrahlen sind weit ungiftiger als Gammastrahlen, man kann sich relativ einfach schützen. Bereits dünnes Aluminiumblech, Plexiglas von wenigen Zentimetern oder eine dicke Betonwand reichen aus. Jedenfalls braucht man keine dicken Bleiplatten oder Ähnliches.«
»Also entsteht auch hier Atommüll, von dem keiner weiß, wohin damit«, warf Benn ein.
»Der bei der Kernfusion entstehende Atommüll verliert bereits nach wenigen Jahrzehnten seine Gefährlichkeit. Die Halbwertzeit von Tritium, also die Zeit, in der sich die schädigende Wirkung halbiert, liegt bei unter dreizehn Jahren.«
Benn bemerkte Hagens erwartungsvollen Blick. »Tut mir leid, ich verstehe nicht, was Sie sagen wollen.«
»Es ist schwierig, aber Sie sollten es verstehen.« Hagen rieb sich nachdenklich an der Nase, dann sprach er weiter. »Im Falle der Kernspaltung liegen die Halbwertzeiten des radioaktiven Materials dagegen bei bis zu 10 000 Jahren. Der Atommüll eines Fusionsreaktors, der aus den Teilen besteht, die im Innern mit Strahlung in Berührung kommen, ist dagegen zu etwa vierzig Prozent nach fünfzig Jahren unbedenklich, nach fünfhundert Jahren sind auch die wenigen Prozent, die länger gelagert werden müssen, entgiftet.«
»Fünfhundert Jahre sind ein halbes Jahrtausend!«, rief Benn. »Beinahe zwanzig Generationen. Ein Viertel der Menschheitsgeschichte seit Christi Geburt. Ich empfinde das als extrem lang.«
»Wenn Sie das mit den Entgiftungszeiten bei der Kernspaltung, also den derzeit in Betrieb befindlichen Atomkraftwerken vergleichen, ist das lächerlich kurz. Bei der Kernspaltung müssen wir von Entgiftungszeiten von Millionen Jahren denken.«
»Glauben Sie wirklich, was Sie über die Kernfusion sagen? Und über die angeblich kurzen Entgiftungszeiten?«
»Ich sage Ihnen, was wissenschaftlich belegt ist, was die Physiker herausgefunden haben. Nichts beschönigt, nichts gesponnen.« Hagen blieb stehen, sammelte sich. »Die Kernfusionsforscher wollen spätestens in fünfzig Jahren mit serienreifen Fusionsreaktoren alle Energieprobleme der Welt lösen.«
»Das kann ich nicht beurteilen. Jedenfalls klingen fünfzig Jahre lang.« Benn hob den Kopf, sah Hagen lange an. »Ihre Reise war ja ganz interessant. Aber was hat das alles mit Greifswald und meiner Frau zu tun?«
»Ich erkläre es gleich. Ich will nur, dass Sie die Hintergründe verstehen. Daraus erklärt sich dann die Bedeutung dessen, was Sie in den letzten Stunden erlebt haben.«
Hagen wanderte wieder durch den Raum, immer die Lichtkegel der beiden Taschenlampen an den Ständern der Stehlampen meidend, als fühle er sich im Halbdunkel wohler.
»Zentrales Element des Fusionsreaktors ist ein Magnetfeld, das ein Plasma in einem Käfig gefangen hält. Aus dem Plasma soll die Energie gewonnen werden. Stellen Sie sich Plasma nicht als Flüssigkeit, sondern als wabernde Masse vor, als
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