Die Quelle
Benn unterbrach seine Versuche. Auf der Treppe waren Schritte zu hören. Jemand kam zügig die Treppe herauf.
Schließlich erschien auf dem Treppenabsatz unter ihnen eine junge, schlanke Frau, die ein dunkles Kostüm trug und einen gestreiften Schal um den Hals geschlungen hatte. Sie blieb überrascht stehen, zögerte einen Moment und fragte dann: »Was machen Sie vor meiner Wohnungstür?«
»Wir suchen Timo Moritz. Er wohnt doch hier. Sie wohnen auch hier?«, fragte Ela Stein.
Die Frau zögerte. Sie blickte kurz die Treppe hinunter und antwortete dann mit gelassener Stimme. »Ich bin seine Freundin.«
»Das ist doch toll.« Benn lächelte gewinnend.
»Was wollen Sie von uns? Wer sind Sie?«
»Wir müssen Ihren Freund dringend sprechen.« Benn suchte den Blick ihrer Augen. Ein Fehler, und ihre Chance war dahin. »Wir kommen dafür eigens aus Deutschland. Wir haben eine Nachricht für Ihren Freund. Von Rainer Kemper. Sagt Ihnen der Name etwas?«
Die junge Französin erwiderte Benns Blick, schwieg lange, schüttelte dann aber den Kopf.
»Es hat mit seiner Arbeit zu tun«, sagte Ela Stein.
»Wer sind Sie?«
Die Stimme der Französin blieb klar und ruhig. Benn wunderte sich, denn er wartete darauf, dass eine Wolke voller Misstrauen zu ihnen heraufwehte. Er jedenfalls würde misstrauisch reagieren, wenn er zwei fremde Menschen plötzlich vor seiner Wohnungstür antreffen würde.
»Entschuldigung.« Die Kommissarin holte ihren Ausweis hervor. »Bitte erschrecken Sie nicht. Ich bin deutsche Polizeibeamtin. Wir müssen Timo Moritz nur ein paar Fragen stellen. Es ist dringend.«
Falsch, dachte Benn. Jetzt muss sie noch mehr Fragen haben.
Ela Stein ging langsam die Stufen hinunter und hielt der Französin den Ausweis hin.
»Bundeskriminalamt.« Die Stimme der jungen Französin klang immer noch ganz nüchtern.
»Sie scheinen gar nicht überrascht oder misstrauisch«, sagte Benn, als die Französin den Ausweis an die Kommissarin zurückgab.
»Vielleicht zeige ich es nur nicht.« Die Französin griff in ihre Tasche und holte gleichmütig ein Schlüsselbund heraus. »Und was könnte ich tun? Ich kann ja nicht einmal die Polizei rufen, falls ich Ihnen nicht glauben würde. Außerdem überrascht mich so schnell nichts. Ich komme gerade mit unserem Notfahrdienst vom Flughafen, ich habe eine Nachtschicht am Notschalter der Air France hinter mir. Was meinen Sie, was da los war ... wer da trotz des zusammengebrochenen Verkehrs am Schalter auftaucht - und mit was für Wünschen.« Sie schüttelte den Kopf. »Manche begreifen einfach nicht, dass ein Flughafen ohne Strom nicht funktioniert.«
Ela Stein lächelte verständnisvoll, steckte ihren Ausweis wieder ein und ging zu Benn. »Wir haben geklopft, aber ohne Erfolg. Ist er nicht zu Hause?«
Die Französin sagte nichts, kam die Stufen herauf. Benn und Ela Stein traten weit genug zurück, um keinen falschen Eindruck aufkommen zu lassen.
»Ich sehe, was ich tun kann.« Die Französin schloss auf, schlüpfte rasch in die Wohnung und zog die Tür hinter sich zu. Benn hörte, wie sie ihren Freund rief.
Nach einem Moment der Stille drang ein markerschütternder Schrei aus der Wohnung.
Kapitel 30
NAHE GREIFSWALD
Duvall war mit sich zufrieden. Er hatte sich auf keine Diskussionen eingelassen, als Ziegler verlangt hatte, seine Frau zu sprechen. Er sollte weiter den Druck spüren. Und es geschah etwas. Ziegler schien tatsächlich in Paris zu sein.
Trotz Ferrands Flucht wuchs seine Chance, noch ein Stück vom Kuchen für sich zu sichern. Wenn diese Unterlagen so wichtig waren, dann würde auch jemand dafür zahlen.
Er trank einen weiteren Schluck Wodka.
Vielleicht lag seine Zuversicht auch daran, dass er in der Nacht eine kleine, gefährliche Reise erfolgreich überstanden hatte. Da Ferrand die Reste an Proviant mitgenommen hatte, war er am späten Abend mit dem Wagen bis an den Stadtrand von Greifswald gefahren und hatte sich in einem bereits geplünderten Geschäft mit dem Notwendigsten versorgt.
Das Geschäft war offensichtlich schon in einer der beiden Nächte zuvor beinahe vollständig ausgeräumt worden, sodass sich niemand mehr die Mühe machte, es zu bewachen.
Vollkommen unbehelligt war er durch die zerschlagene Glasfront ins Ladeninnere geschlüpft. Zum Glück hatten die Plünderer vor ihm sich in ihrer Eile auf den Verkaufsraum konzentriert und vor dem verschlossenen Lager kapituliert. Er hatte das Schloss einfach zerschossen und im Lager die mitgebrachten
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