Die Quelle
und laufen Sie den nächsten Hafen an! Wenn das, was Sie sagen, stimmt, wird der Mann es schaffen. Sie müssen allein zurechtkommen. Unsere nächste ständig besetzte Rettungsstation wäre der Seenotkreuzer Eugen auf der Greifswalder Oie. Allerdings ist der Kreuzer im Moment im Einsatz. Sie sind heute Abend leider nicht der einzige Notfall! Und die Stationen Lauterbach auf Rügen und Freest an der Küste sind nur im Bedarfsfall besetzt. Wie schätzen Sie seine Situation ein? Schafft er es mit Ihrer Hilfe bis ins nächste Krankenhaus?«
Benn überdachte den Zustand des Geretteten.
»Ich glaube schon. Er ist total erschöpft, aber bei Bewusstsein. Er zittert furchtbar, aber ich denke, wir haben ihn rechtzeitig aus dem Wasser gezogen.«
»Muskelsteifheit?«
»Nein. Er hat sich aus dem Wasser selbst auf das Deck gezogen, ist dann aber abgerutscht.«
»Ich werde die Meldung auf jeden Fall an die Polizei weitergeben. Dieser Kemper scheint noch einmal Glück gehabt zu haben ...«
In diesem Moment brach die Verbindung zusammen. Benn fluchte genervt, starrte auf die Akkuanzeige, wählte erneut die Notrufnummer. Nichts. Sooft Benn auch versuchte, die Seenotzentrale über das Handy anzuwählen - er bekam keine Verbindung mehr.
Sie wissen Bescheid, beruhigte er sich.
In ein paar Minuten würde er es noch einmal versuchen.
Benn stand im Pilothouse am Innensteuerstand und trieb den Dieselmotor das zweite Mal auf dieser Fahrt auf volle Touren. Francescas energische Stimme drang aus der Kammer.
»Machen Sie die Augen auf, los! Nicht einschlafen!«
Benn hörte das Klatschen. Francesca konnte furchtbar energisch und zupackend sein. Er mochte diesen Wesenszug genauso wie ihre schnurrende Sanftmut.
»Benn, er will immer wieder einschlafen! Mein Rütteln hilft auch nicht mehr.«
»Wie fühlt sich seine Haut an?«, fragte Benn zurück.
»Kalt!«, rief sie. »Aber längst nicht mehr so kalt wie vorhin.«
Benn zögerte, überdachte die Situation. Von außen konnte er keine Hilfe erwarten. Aus irgendeinem Grund war die Seenotzentrale nicht mehr zu erreichen. Und ihr Rettungskreuzer war im Einsatz.
»Gib ihm einen lauwarmen Tee mit viel Zucker. In kleinen Schlucken. Das wird seine Lebensgeister wieder wecken.«
»Wenn ich in die Pantry gehe, schläft er vielleicht ein!«
»Okay! Ich mach das!«
Benn warf einen Blick auf den Radarbildschirm. Vor der Greifswalder Oie waren immer noch mehrere Signale dicht beieinander. Kam Kemper von dort? Fehlte dort auf einem der Boote ein Mann? Hatten sie sein Fehlen vielleicht gar nicht bemerkt?
Benn überschlug die Entfernungen. Sie waren von Norden kommend zunächst mit voller Kraft Richtung Süden gelaufen, und er hatte erst kurz vor der Rettung das Segel gesetzt.
Kemper wiederum konnte von einer starken Strömung gut ein paar Seemeilen abgetrieben worden sein.
Die Windstille sprach gegen eine starke Strömung, aber andererseits konnten auch bei Windstille Strömungen laufen, wenn der Wasserstand der Ostsee besonders niedrig oder hoch war. Man hatte in solchen Fällen trotz Windstille schon Strömungen von fünf Seemeilen und mehr die Stunde gemessen.
Benn überlegte, ob er auf die Boote nahe der Greifswalder Oie zulaufen sollte, verwarf den Gedanken dann aber wieder. Dort wartete nicht mehr an Hilfe als die, die Kemper hier auch bekam.
Um sich nicht später Vorwürfe machen zu müssen, versuchte er erneut, Kontakt zur Seenotzentrale aufzunehmen.
»Was ist denn bloß los?«, fauchte er, als sich wieder keine Verbindung aufbaute. »Warum ist das Netz so überlastet? Heute ist doch nicht Silvester!« Fluchend legte er das Handy zur Seite und starrte auf die Radarabtastung.
Rügen. Die Seenotzentrale hatte vorgeschlagen, er solle Rügen anlaufen. Er bestimmte den Kurs und schaltete den Autopiloten ein. Dann eilte er in die Pantry, goss einen Teebeutel mit lauwarmem Wasser auf und zuckerte ihn stark.
»Er ist eingeschlafen«, sagte Francesca, als Benn mit dem Getränk in die Eignerkabine trat. »Einfach so!«
Benn gab Francesca die Tasse, kletterte ins Bett und hockte sich über Kemper. Er klatschte Kemper erst sanft, dann immer heftiger auf die Wangen.
»Du willst ihn doch nicht verprügeln, oder?«, murmelte Francesca, als Benn Kempers Körper in eine Sitzposition zog und dann erneut auf dessen Wangen klatschte, bis der die Augen öffnete.
»Der Tee wird Ihnen helfen.«
Francesca tauchte den Teelöffel immer wieder in die Tasse und schob ihn zwischen die zitternden Lippen
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