Die Quelle der Seelen: Thriller (German Edition)
vor der goldenen Schatulle und empfanden eine Mischung aus Furcht, Neugier und Stolz. Die Handwerkskunst und die Schönheit der Schatulle übertrafen bei weitem ihre Erwartungen. Sie war im wahrsten Sinne des Wortes ein Kunstwerk. Keiner der drei Männer hatte je etwas Vergleichbares gesehen. Die aufwendigen Darstellungen, die in die Oberfläche geritzt waren, stammten von einem Meister seiner Zunft, der über Fähigkeiten verfügt hatte, die seit Tausenden von Jahren niemand mehr besaß.
Die drei Wissenschaftler wussten um das Potential der Schatulle, die vor ihnen stand, denn sie hatten das gesamte vergangene Jahr damit zugebracht, jede noch so winzige Notiz zu lesen, die Zivera hatte auftreiben können. Die Legende erzählte vom ewigen Leben, von lange verschollenen Geheimnissen, von Gottes Hand. Doch weil die drei Männer Wissenschaftler waren, ging ihre Skepsis tiefer als der Ozean. Sie akzeptierten ausschließlich stichhaltige Beweise. Obwohl sie bei ihrer Arbeit Julians Anweisungen befolgten und taten, was er von ihnen verlangte, wusste jeder von ihnen, dass dieser Mann verrückt war.
Dr. Lloyd aber machte sich insgeheim Hoffnungen. Er hatte mit eigenen Augen gesehen, wie sich biblische Mythen inmitten der Realität des modernen Alltags offenbart hatten. Er wusste genau, was es mit dem Manna aus der Bibel auf sich hatte, dem Himmelsbrot, dem Brot des Lebens. Im alten Mesopotamien hatte man die feine, kristalline Substanz shem-an-na genannt; die Ägypter beschrieben sie als mfkzt , während die Alexandriner sie als den Stein des Paradieses verehrten. In Kuchen eingebacken, wurde das geheimnisvolle Puder rituell von Königen und Pharaonen der Antike verzehrt. Es wurde als Nahrung für den »leichten Körper« verehrt, den ka , und es hieß, dass es die Wahrnehmungsfähigkeit steigere, die Empfindungsfähigkeit und die Intuition. Man betrachtete es sogar als Schlüssel zum ewigen Leben.
Lloyd hatte miterlebt, wie man es in der modernen Zeit als so genanntes monoatomisches Gold wiederentdeckt hatte. Viele seiner mythologischen Eigenschaften hatten sich bewahrheitet und galten als Fakt. Was man lange Zeit für eine abstruse Substanz mit vermeintlichen Zauberkräften gehalten hatte, existierte tatsächlich. Deshalb machte Lloyd sich große Hoffnungen, was die Schatulle betraf, die vor ihm stand. Er hoffte, dass die Legende der Wahrheit entsprach und war bereit, Mythen als Tatsachen zu akzeptieren. Lloyd war innerlich darauf vorbereitet, ein Wunder zu erleben.
Julian jedoch hatte angeordnet, sich auf ein Desaster gefasst zu machen, auf das übelste aller üblen Szenarien: Krankheit und Finsternis, Tod und Untergang.
Doch als die drei Männer jetzt auf die goldene Schatulle blickten, kam es ihnen wie ein schlechter Scherz vor, dass solches Grauen in dieser kleinen, prachtvollen Schatulle schlummern sollte. Andererseits hatte jeder von ihnen Gräueltaten miterlebt, die sowohl von Menschenhand als auch von der Natur begangen worden waren. Und sie wussten, dass man die potenzielle Fähigkeit der Schatulle, Abermillionen Menschen zu töten, nicht unterschätzen durfte. Immerhin hatte jeder von ihnen tödliche Agentien entwickelt oder bekämpft, die vergleichbares Potential besaßen, und die in einen Fingerhut gepasst hätten.
Sie hatten die Schatulle durch diverse Scanner laufen lassen, hatten sie mit Schnüffelsonden und Spektrometern geprüft, aber nichts Außergewöhnliches entdeckt. Das Schloss war untersucht und vermessen worden. Die Männer wussten, sie würden lediglich einen Schraubenzieher benötigen, um das relativ einfache Schloss aufzubekommen.
Sie trugen Schutzanzüge, hatten aber beschlossen, die Schatulle mittels Fernsteuerung zu öffnen, sodass sie nicht direkt mit ihr in Berührung kamen; stattdessen würden sie hinter einer dicken Glasscheibe und unter einem hochtourigen Ventilator in Sicherheit gehen. Ein durchsichtiger, fast unzerbrechlicher Sicherheitsbehälter wurde über die goldene Schatulle gestülpt. Abzugsvorrichtungen wurden angeschlossen; alles, was entwich, nachdem das Schloss entriegelt worden war, würde sofort eingefangen und in einem Behälter verschlossen werden, der tausendmal sicherer war als die kostbare Goldschatulle, deren Alter jede Vorstellungsfähigkeit überstieg.
Lloyd kontrollierte die ferngesteuerten Arme, die über besseres Tastgefühl und größere Fingerfertigkeit verfügten als seine eigenen Hände. Habib bediente die Videoanlage, damit alles genau aufgezeichnet
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