Die Quelle der Seelen: Thriller (German Edition)
Schlachter der Stadt.
Martin stieg aus der Maschine, während die anderen noch auf ihren Sitzen blieben. Michael beobachtete, wie er über die Gangway und zu einer wartenden Limousine ging, vor der ein Fahrer stand, der die Hintertür bewachte. Martin sprach kurz mit dem Mann, steckte ihm ein wenig Bargeld zu und nickte. Dann öffnete der Fahrer die Wagentür, und Stephen Kelley stieg aus.
Einen kurzen Moment standen die beiden Männer schweigend und erleichtert da; dann schüttelten sie einander herzlich die Hände. Martin lächelte dabei – das erste Mal, dass Michael ihn überhaupt lächeln sah. Kelley trug die dunkelblaue Uniform eines Sicherheitsbeamten, in der er natürlicher wirkte als in dem Anzug von Brooks Brothers, den er getragen hatte, als Michael ihm zum ersten Mal begegnet war. Er blickte nach oben auf das Flugzeug, als er und Martin die Rampe hinaufliefen. Kelley hatte sich in den sechs Tagen, die Michael ihn nicht gesehen hatte, sehr verändert. Es sah erholt aus.
Kelley betrat die Kabine, ging an Michael, Busch und Simon vorüber zur Bar, ohne ein Wort oder einen Blick zu verschwenden, und schenkte sich einen Scotch ein. Er leerte das Glas in einem Zug, warf ein paar Eisstücke hinein und schenkte sich sofort nach. Schließlich drehte er sich um und schaute in die Runde. Er starrte Simon und Busch an, als prüfe er eine Gerichtsakte; dann endlich fiel sein Blick auf Michael.
Gute dreißig Sekunden schauten sie einander an. Beide hingen ihren eigenen Gedanken nach.
»Wir müssen unsere Unterhaltung unbedingt fortsetzen«, sagte Kelley schließlich.
»Das kann man wohl sagen.«
»Jetzt ist nur nicht der richtige Zeitpunkt dafür«, meinte Kelley und blickte auf Busch und Simon.
Michael nickte.
»Martin hat mir gesagt, dass Susan dir meinen Panikraum gezeigt hat«, sagte Kelley und bezog sich dabei auf die Andenken an Michael, die er gesammelt hatte.
»Oh ja«, erwiderte Michael und schaute den Mann dabei an, als sähe er ihn zum ersten Mal. Einen Mann, der Michaels Leben in Schubladen voller Bilder und Zeitungsartikeln katalogisiert hatte, das Leben eines Sohnes, den er weggegeben hatte – nicht aus Verantwortungslosigkeit, sondern aus Liebe, um sicherzustellen, dass sein neugeborenes Kind die Pflege und Zuwendung bekam, die er, Kelley, ihm nicht hätte bieten können. Er war ein Vater, der die Entwicklung seines Sohnes nur auf Fotos und anhand von Berichten mitverfolgt hatte, nie durch Gespräche oder herzliche Umarmungen. Susan hatte die Entscheidung getroffen, Kelleys Andenkensammlung mit seinem Sohn zu teilen; sie hatte gewollt, dass Michael erfuhr, dass man ihn in Wahrheit nie vergessen hatte.
Michael war ratlos und schaute den Mann stumm an. Er wusste nicht, was er sagen sollte, während die Luft vor Spannung immer dicker wurde.
»Nun ja …«, sagte Kelley schließlich und wandte sich an Martin. »Haben Sie ihr mitgeteilt, dass ich in Sicherheit bin?«
Martin antwortete nicht.
»Martin?«, hakte Kelley nach.
Martin senkte den Blick.
»Wo ist Susan?«, fragte Kelley und blickte in die Runde.
Die Gruppe hüllte sich in Schweigen.
»Martin?«, hakte Kelley nach.
»Man hat sie entführt, Sir.«
Kelleys Gesichtszüge verrieten, was er empfand: zuerst Verwirrung, dann Zorn. »Was wollen Sie damit sagen?«
»Ein russischer General hat sie entführt, einer von Ziveras Männern. Gestern hat ein Flugzeug Russland verlassen. Wir sind ziemlich sicher, dass er sie hat herbringen lassen.«
Kelley hatte den Businessjet gesehen, als er selbst auf der Flucht gewesen war; er hatte die Maschine ausrollen sehen, hatte beobachtet, wie ein Mann und zwei Frauen aus dem Flugzeug stiegen und rasch in einen Wagen geschoben wurden. Die Wut, die ihn befiel, richtete sich nicht gegen Zivera oder gegen die Männer, die vor ihm saßen, sondern gegen sich selbst. Susan war zum Greifen nahe gewesen, aber er hatte nicht entschlossen zugepackt. Wenn er doch nur gewartet hätte! »Ich habe sie gesehen. Mein Gott«, er ließ den Kopf sinken, »ich hatte ja keine Ahnung …«
Martin blickte zu Stephen auf. »Sie hätten nichts tun können.«
Kelley sah ihn an, und seine Gefühle verwandelten sich in Wut. »Was wollen diese Leute mit ihr?«
Keiner sagte ein Wort.
»Was geht hier vor, verdammt? Mach endlich einer den Mund auf!«
»Ich könnte mir vorstellen, dass sie Susan umbringen wollen«, sagte Simon auf seine typisch fatalistische Art.
»Sie umbringen?«, wiederholte Stephen verwirrt. »Warum denn?
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