Die Quelle der Seelen: Thriller (German Edition)
neun Monate her. Peter war einer dieser Menschen, die einfach alles können. Mit sechzehn Abitur, mit neunzehn in Harvard, mit zweiundzwanzig Jura-Examen von Yale. Aber das alles war belanglos im Vergleich zu seinen inneren Werten. Er dachte nie an sich selbst. Das Wohl anderer ging ihm immer vor. Als seine Mutter starb, war er vierzehn. Statt sich in Selbstmitleid zu ergehen, hat er den Schmerz des Verlusts dazu genutzt, als Mensch zu wachsen, und seine Beziehung zu seinem Vater wurde noch tiefer. Er war kein bisschen arrogant und nahm nie Verdienste für sich selbst in Anspruch. Er teilte sie entweder mit anderen oder lenkte ganz davon ab.« Ein schwermütiges Lächeln legte sich auf Susans Gesicht.
»Er wurde darauf vorbereitet, eines Tages die Kanzlei seines Vaters zu übernehmen. Er trat in seine Fußstapfen und arbeitete zwei Jahre für die Bezirksstaatsanwaltschaft. In weniger als fünf Jahren war er in jedem Rechtsbereich der väterlichen Kanzlei tätig gewesen und wusste das meiste besser als seine Berater. Trotzdem hat er die Titel nicht angenommen, die sein Vater ihm verleihen wollte, und hat die Lorbeeren von denen einheimsen lassen, die weniger zum Erfolg der Kanzlei beitrugen als er selbst. Er war einer der wenigen selbstlosen Menschen, die ich gekannt habe.«
Susan hielt einen Augenblick inne. Dabei haftete ihr Blick auf den Fotos von Peter, die auf den Regalen standen. »Jeden April standen Stephen und Peter auf der Main Street in Hopkinton inmitten von zwanzigtausend Menschen. Vier Stunden und zweiundvierzig Kilometer später rannten sie in Boston bei dem berühmten Marathonlauf über die Ziellinie, Seite an Seite, Vater und Sohn.« Endlich sah Susan Michael wieder an, mit einem traurigen Lächeln auf dem Gesicht. »Und das Lustige daran ist – Peter hat seinem Vater nie gesagt, dass er die Rennerei mehr hasste als sonst etwas.«
Michael und Busch sahen schweigend zu, wie Susan um Fassung rang.
»Peter ging eines Abends spät aus dem Büro, nachdem er einem neuen Kollegen bei einem Schriftsatz geholfen hatte.« Susan senkte den Kopf. Tränen traten ihr in die Augen. »Das Auto hat ihn voll erwischt. Sein Vater konnte die Leiche kaum noch identifizieren. Stephens ganzer Stolz, sein Lebensinhalt starb an diesem Tag.« Sie blickte Michael an. »Und jetzt stehen Sie, das genaue Gegenstück von Peter, der Inbegriff all dessen, was er nicht war, vor diesem Haus, in dem Peter groß geworden ist.«
Michael sagte nichts, obwohl die Worte ihm einen Stich versetzten.
»Dieser arme Mann hat die letzten neun Monate damit zugebracht, um seinen Sohn zu trauern. Er fing gerade erst an, sich von dem Schlag zu erholen.«
»Und was sind Sie? Die loyale Angestellte, die versucht, das Loch im Leben ihres Chefs zu füllen?«, fragte Michael mit bitterem Spott.
»Nein. Ich habe auf ihn aufgepasst, als wäre er mein eigen Fleisch und Blut. Stephen ist mein Schwiegervater. Peter Kelley war mein Ehemann.« Susan strömten die Tränen über die Wangen. »Jetzt werden diese Leute Stephen vermutlich umbringen, selbst wenn Sie tun, was sie wollen.«
»Schon möglich«, erwiderte Michael. Er beobachtete, wie sich der Schock dieser Bemerkung mit dem Schmerz mischte, der sich auf Susans Zügen spiegelte. So wütend sie ihn machte – sie tat ihm leid, und er hatte Verständnis für ihren Schmerz. Es war eine Wunde, die niemals wirklich heilen würde. Er blickte zu Busch hinüber, der mit gesenktem Kopf dastand. Dann schaute er Susan wieder an und sagte mit sanfter Stimme: »Aber ich werde nicht zulassen, dass es dazu kommt.«
Michael setzte sich auf die Couch und erzählte Susan von dem Lösegeld, von der antiken Schatulle, die ein Besessener suchte, und von dem Kopfgeld für Stephens Rückkehr. Er erzählte ihr von Genevieve und Julian und von den Komplikationen, die ihnen im Kreml bevorstehen würden. Er erzählte ihr alles – sogar, wie gering seine Chancen waren.
»Ich muss Sie begleiten«, sagte Susan.
»Sie haben keine Vorstellung, was Sie erwartet.«
»Aber Sie wissen es?«
»Viel besser als Sie.«
»Aber ich kann hier nicht herumsitzen, während Sie versuchen, Stephen zurückzubekommen.«
»Was könnten Sie denn tun?«, fragte Michael.
»Sie haben vielleicht eine Landkarte und jede Menge Informationsmaterial darüber, wohin Sie gehen müssen, aber Ihnen fehlen Dinge, die nur ich beschaffen kann.«
»Zum Beispiel?«
Susan neigte den Kopf und lächelte.
16.
D er Boeing Businessjet schoss über die
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