Die Quelle
Kriegers gewesen war, einzuschätzen. Doch
nun, da sie sich unbeobachtet fühlte, konnte er Schmerz und
Enttäuschung erkennen, während ihre leuchtenden Augen auf König
Leathan ruhten. Plötzlich zuckte sie zusammen, sie hatte Sulidians Blick
bemerkt und anscheinend auch seine Gedanken ertappt. Ihre Gesichtszüge
verschlossen sich, doch Sulidian hatte genug gesehen, um nicht mehr lügen
zu müssen, wenn er behauptete, seine Entscheidung schon gefällt zu
haben. Stella schickte ihm eine telepathische Botschaft.
‚Sulidian, auch ich kann mich irren. Finde deine eigene
Antwort, auch wenn du meine erkannt hast. Ich bitte dich.“
Sulidian antwortete ihr nicht, das war nicht nötig.
Er lächelte, als er das Wort ergriff, wohl wissend, dass seine Worte
sowohl Sihldan als auch seine Krieger beeinflussen würden.
„König Leathan, ich freue mich zu sehen, dass die
Legenden dir gerecht wurden. Nun da wir eine schwere Entscheidung treffen
müssen, möchte ich dir eine Frage stellen: Glaubst du denn
tatsächlich, dass ein Volk von Sterblichen auch nur einen Augenblick lang
von einem Unsterblichen geführt werden sollte?“
Sulidian hatte erreicht, was er wollte. Jeder musste an
Anthalions Herrschaft denken und der Glanz des Königs schien angesichts
der düsteren Erinnerung an den Gott-König zu verblassen. König Leathan
wirkte ein wenig verunsichert und er verlor dadurch noch zusächlich von
seinem Glanz. Sulidian wandte sich von ihm ab, denn seine Frage benötigte
keine Antwort. Er erhob die Stimme, herrisch und selbstsicher, sein Rücken
als Zeichen der Missachtung dem König zugewandt.
„Stimmen wir ab, wie es die Sitten vom Volk der
Wächter verlangen! Wer ist dafür, dass nur Menschen über
Menschen herrschen dürfen?“
Als er selbst seine Hand hob, folgten seine Krieger
einstimmig seinem Beispiel. Sihldan entschied sich ebenfalls für Mehana
und auch seine Krieger vertrauten einstimmig seiner Entscheidung. Die Stimmen
der Nomaden machten die zögerliche Entscheidungskraft vom Volk der
Wächter wett. Vor allem diejenigen, die den König in seinem
Blutrausch auf dem Schlachtfeld erlebt hatten, stimmten für Mehana. Die
Regentin hatte gewonnen, trotz der Uneinigkeit ihres Volkes. Die telepathischen
Botschaften waren teilweise unklar, doch der Sieg war es nicht. Der König
wirkte erschrocken, als habe er diese Entscheidung nicht erwartet. Als Stella
sich ihm näherte, wirkte er traurig und verängstigt zugleich. Zorn
zeichnete sich auf seinem Antlitz, als sei die Fassade der Weisheit gerade
zusammengebrochen.
„Habe ich Jahrhunderte darauf gewartet, wieder inmitten
meines Volkes zu sein, nur um mein Todesurteil zu vernehmen?“
Stella sah ihn schmerzerfüllt an. „Wie lange kann
ein Mensch über ein Volk herrschen, ohne blind für sein Volk zu
werden? Wann mein König, hast du dein Ziel aus den Augen verloren? Wann
mein König, wurde dir dein Leben wichtiger, als die Zukunft deines
Volkes?“
König Leathan wich vor Stella zurück, sein
Blick wurde bedrohlich. Instinktiv legten sowohl Sulidian als auch Sihldan die
Hände auf ihre Schwerter.
„Stella, wie kannst du so etwas behaupten? Nur die Zukunft
meines Volkes zählt, ich habe dafür all die Jahrhunderte der
Einsamkeit ertragen! Wer soll nun meinem Volk den Weg in die Zukunft weisen,
wenn du mein Leben verkürzt? Wer soll sie vor den Rachezug der Götter
schützen?“
Stellas Stimme wurde härter.
„Der Rachezug der Götter galt dir allein. Wie konnte
ich nur übersehen, dass du die ganze Zeit über die Möglichkeit
hattest, dem ein Ende zu setzen? Du wusstest schon immer, wie du den Zauber um
dein ewiges Leben beenden konntest. Du warst nur erpicht darauf, die Herrschaft
wieder zu bekommen, die dir deiner Meinung nach zustand. Das Volk hat nun gegen
dich entschieden. Die Sterblichen haben erkannt, dass zu viel Macht es vermag,
jede noch so reine Seele zu verderben. Füge dich ihrer Entscheidung.“
König Leathan blickte rachsüchtig zu Stella.
„Wenn zu viel Macht verdirbt, Stella, wann ist dann deine
Seele verdorben worden?“
Stella lächelte, doch es war ein Lächeln, das
von Schmerz geprägt war. „An dem Tag, an dem unsere Seelen miteinander
verschmolzen, wurde ich blind für die Wahrheit. An diesem Tag habe ich die
Fähigkeit verloren, die ewige Macht der Kinder der Quelle zu meistern,
denn ich habe deine Schwäche in mich aufgenommen.“
„Und wer sagt uns dann, dass du jetzt nicht auch irrst?“
Mehana antwortete nun an Stellas
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