Die Quelle
Legende. Das Volk der
Wächter verehrte ihn seit Jahrhunderten und sie ahnte, dass ihn
bloßzustellen, mehr Schaden anrichten würde, als des Königs
Fehlverhalten.
„Ich bin auch der Meinung, dass wir den ersten Schritt
machen sollten… Schließlich haben wir versprochen die Götter auch
als solche zu akzeptieren… doch ich habe keine wirkliche Befugnis mehr. Als
Regentin von Ker-Deijas müsste ich, nun da unser König wieder unter
uns weilt, auf meine Regentschaft verzichten. Er hat die Herrschaft über
unser Volk, es sei denn, das Volk entscheidet sich gegen ihn. Seit Jahrhunderten
warten wir auf die Rückkehr des Königs und ich hoffe, dass es jedem
bewusst ist, wie schwer es mir fällt, mich nun gegen ihn stellen zu
müssen. Das Volk ist nun bereit, sich zu entscheiden. Als unsere
Verbündeten zählen eure Stimmen und die eurer Krieger
gleichermaßen. Der König so wie ich warten auf eure Entscheidung.“
Sulidian übernahm nach kurzem Überlegen das
Wort.
„Weshalb ist König Leathan in diesem Augenblick
nicht unter uns?“
„Er möchte eure Entscheidung nicht durch seine
charismatische Erscheinung beeinflussen. Er möchte, dass ihr nur wegen der
Fakten entscheidet. Sogar ich habe ihn noch nicht gesehen und mich dennoch
entscheiden müssen. Hier geht es am Ende auch darum, wie sehr wir Balderia
und Iridien vertrauen. Stehen sie wirklich auf unserer Seite, oder haben wir es
hier mit einer List zu tun?“
Sulidians Blick wurde hart und herrisch.
„Ich lasse mich von keiner Erscheinung beeinflussen.
Meine Entscheidung liegt bereits fest. Ich möchte dennoch euren König
kennen lernen, denn, wenn ich es richtig verstanden habe, hat derzeit er die
Herrschaft über euer Volk und er ist derjenige, der mit uns sprechen
sollte, nicht die ehemalige Regentin, die ohne ihren Titel nur noch eine Frau
ist.“
Mehana versuchte, Sulidians Worte nicht als Beleidigung aufzufassen,
doch die Kränkung, die sie verspürte, schmerzte mehr, als es ihr
recht war. Sie hatte gehofft, Sulidians Respekt und Vertrauen gewonnen zu
haben, anscheinend hatte sie sich geirrt. Sie ließ sich jedoch nichts
anmerken und in ihren Gedanken spürte sie den Kontakt zu ihrem König.
Sie hatte noch nie einen Geist gespürt, der so viel Ruhe und gleichzeitig
so viel Macht ausstrahlte. Plötzlich kam es ihr falsch vor, sich gegen ihn
gestellt zu haben…
Nur wenig später erschien der König und jeder,
der ihn sah, verstand den Grund seines Wunsches, sich vorerst nicht zu zeigen.
Allein sein Gang verriet, dass er zum Herrschen geboren war. Seine
natürliche Autorität beruhte vor allem auf einer von Verständnis
und Mitgefühl geprägten Ausstrahlung. Sein Blick war stolz, doch
nicht unnachgiebig. Es wirkte, als hätten die Jahrhunderte ihm unendliche
Weisheit geschenkt. Seine Silhouette zeichnete sich vor der regnerischen
Landschaft ab. Einige der Anwesenden mussten blinzeln, in dem Versuch sich zu
vergewissern, dass die Erscheinung des Königs auch real war. Der Regen
schien teilweise durch seinen Körper zu fließen und bei genauerem
Hinschauen, bemerkte man, dass es möglich war, die Landschaft durch ihn
hindurch zu sehen, als wäre er so sehr mit seiner Umgebung verschmolzen,
dass er ein Teil von ihr geworden war.
„Mehana, ich bedaure es, dass ich dich noch nicht
begrüßen konnte. Ich danke dir dafür, dass du meinem Volk in
diesen schweren Zeiten geholfen hast, den richtigen Weg einzuschlagen. Deine
Zeit als Regentin war eine schwere und du hast sie gemeistert.“
Mehana lächelte dankbar. Sie war froh, die Last von
sich ablegen zu dürfen, denn in diesem Augenblick war sie sich sicher,
dass niemand gegen ihn stimmen würde. Sogar sie konnte nicht umhin zu
denken, dass es richtig war, ihm zu folgen. Stella musste sich geirrt haben.
Sulidian stand nun auch auf und die Anführer begrüßten sich mit
einem Kopfnicken.
„Sulidian, Anführer deines Clans, ich fühle
mich davon geehrt, dass du und deine Krieger in diesem ungleichen Krieg an
unserer Seite kämpft.“ Sihldan war ebenfalls aufgestanden und der
König richtete nun an beiden Clananführern seine Worte. „...Ich erwarte
nun eure Entscheidung sowie die meines Volkes.“
Sulidian hatte längst Stella bemerkt, die weit von
der Gruppe entfernt im Hintergrund wartete. Sie stand im Regen an einem Baum
gelehnt. Trotz seines ausgeprägten Spürsinns für die menschliche
Seele war es Sulidian schwer gefallen, diese ätherische Erscheinung, die
einst in dem Körper eines
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