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Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)

Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)

Titel: Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ju Honisch
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Gang war nicht breiter geworden. Nach einer Weile hatte er aber in einem lang gestreckten Raum geendet, von dem aus weitere Seitentüren abgingen. Tische standen in einer langen Reihe nacheinander, und Werkzeuge hingen an einer Wand oder lagen scheinbar wahllos auf dem Boden. Alles war von einer dicken Staubschicht überzogen, die sich zum Teil mit Spinnweben zu zitternden, weißen Vorhängen verbunden hatte.
    » Hier war wohl lange keiner mehr « , flüsterte Una. Sie wusste nicht, ob das gut war oder schlecht. Bei all dem Grauen, auf das sie stoßen konnten, war es vielleicht gar nicht so schlecht, niemandem zu begegnen. » Wozu hat dieser Raum einmal gedient? «
    » Eine Werkstatt, denke ich « , antwortete Kanura. Er ging zur ersten Tür und zerrte an dem eisernen Riegel. Quietschend öffnete sie sich, und eine Staubwolke stob auf. Kanura nieste und blickte in den Raum, versuchte dann, die Türe wieder zu schließen, doch die knarrte nur störrisch, und er unterließ es.
    Una trat zu ihm.
    » Was ist da? «
    » Mehr tote Menschen. Sieh nicht hin! «
    Una blieb stehen, hin- und hergerissen zwischen ihrer Neugier und dem dringlichen Wunsch, nicht noch einem Gerippe zu begegnen. Als sie die Tür genauer betrachtete, fiel ihr auf, dass der Riegel nur an der Außenseite angebracht war. Wer immer dahinter gelebt hatte, den hatte man dort eingesperrt. Ihr wurde kalt bei dem Gedanken.
    » War das hier ein Gefängnis? « , fragte sie.
    Kanura zuckte die Achseln. Er stand inzwischen vor der nächsten Tür und zog deren Riegel zurück. Als sich die rostige Metall-Holz-Konstruktion sperrte, zerrte er mit aller Kraft daran. Mit einem metallischen Kreischen brach sie teilweise aus den Angeln, hing erst schief und kam ihm dann entgegen. Er sprang zur Seite. Die Tür knallte auf den Boden, mit ihr zwei weitere Leichname, die offenbar an die Tür gekrallt gestorben waren.
    » Sie haben versucht zu entkommen. Das muss schon eine Weile her sein « , murmelte Una und versuchte, irgendwo anders hinzusehen als auf die Toten. Sachlich sein, gebot sie sich. Sachlich sein würde helfen, in lautes Gekreische auszubrechen nicht. » Ich weiß nicht, wie lange Leichen brauchen, bis sie fast nur noch Knochen sind. So viel CSI – und ich habe keine Ahnung. «
    Kanura blickte sie verständnislos an.
    » Es gibt Erkenntnisse darüber, wie eine Leiche zu einem bestimmten Zeitpunkt aussieht « , beeilte sich Una zu erklären. » Aber ich weiß es nicht. Nur das hier « , sie machte eine Handbewegung und schloss damit den ganzen Raum ein, » ist nicht erst gestern passiert. So viel Staub. Was war das hier nur? «
    » Ich denke, es war eine Traumwerker-Werkstatt « , meinte Kanura. Auf ihren fragenden Blick fuhr er fort. » Traumwerker sind Menschen, deren kreative Begabung und handwerkliches Geschick sie befähigen, besonders schöne Dinge zu ersinnen und herzustellen. «
    » Künstler? «
    » Ja. «
    » Dann war das hier ein Künstlerkerker? «
    » Sie scheinen nicht freiwillig hier gewesen zu sein. «
    » Haben diese Mardoryx sie auch ausgesaugt? «
    Er schwieg und blickte mit versteinertem Gesichtsausdruck zu Boden.
    » Ich weiß es nicht genau « , sagte er schließlich. » Aus Schönheit kann man Kraft und Energie schöpfen. Vielleicht auch aus dem Vorgang der Kreativität an sich. Der Unterschied … «
    » Der Unterschied ist, dass man hier die Menschen eingesperrt hat und sie jetzt tot sind. «
    » Una, so lange, wie das her ist, wären sie jetzt auf jeden Fall tot. «
    » Tu nicht so, als würdest du mich nicht verstehen! «
    » Ich verstehe dich ja. Aber ich kann dir nicht genau sagen, was hier vorgefallen ist. Ich weiß es nicht. Jedenfalls nicht sicher. «
    » Aber das hier, das ist einfach … unmenschlich. «
    » Wir können auch davon ausgehen, dass diejenigen, die hierfür die Verantwortung tragen, keine Menschen waren. «
    » Nein. Sie waren wie du. «
    Kanura fuhr herum und packte Una an den Oberarmen.
    » Sie waren … nicht … wie ich! « , herrschte er sie an. Sein Griff zerquetschte ihr fast die Knochen.
    » Du tust mir weh! Kanura, du brichst mir die Arme! « Jemand, der mit einer Pferdestärke zupacken konnte, war auch ohne Waffen gefährlich. Ihre Angst machte ihn wieder zu ihrem Feind, denn er war Teil dieser feindlichen Welt. Er mochte nicht genau hierhergehören, aber er war genauso unberechenbar: Vor ihr stand kein Mensch, kein süßes Elfenwesen, kein glitzernder Märchenprinz. Und der Mythos, alle Einhörner seien

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