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Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)

Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)

Titel: Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ju Honisch
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Verschwinde! « , befahl der Bariton wieder.
    » Nein. «
    Die Einsilbigkeit des Antwortenden hatte etwas Sonderbares. Auch die Stimme selbst war eigentümlich und schnarrend. Kanura konnte den Klang keinem Wesen zuordnen. Aber offenbar war es schwächer – oder einfach nur in der Minderzahl.
    » Willst du zertreten werden, Dungkugel? « , höhnte die andere Stimme.
    » Nein. «
    » Dann solltest du schnell von hier verschwinden. « Es klang triumphierend und siegesgewiss. » Dies ist jetzt unser Ort. «
    » Nein. «
    Es wurde ganz still. Kanura wünschte sich, er könnte etwas sehen. Im Moment konnte er noch nicht einmal etwas hören. Das Gespräch schien versiegt zu sein.
    » Lass ihn in Ruhe. Wir suchen größere Beute « , sagte schließlich eine dritte Stimme.
    » Vielleicht weiß das Ding, wo sich diese Beute aufhält? Weißt du das, du Dreckslappen auf Beinen? Wo ist das Hornvieh und die Sklavin? «
    Das Nein-Wesen jammerte. Kanura überlegte kurz, ob er ihm zu Hilfe eilen sollte. Doch er war sich ziemlich sicher, dass er – das Hornvieh – die Beute war, die da gesucht wurde. Und in Una sahen diese Geschöpfe nur eine Sklavin.
    Er wusste nicht, ob vor seiner Tür Kentauren waren, die nach den entflohenen Gefangenen suchten, oder doch Mardoryx, die eine neue Bardin benötigten. Auf jeden Fall handelte es sich um mehrere. Er würde sie nicht besiegen können, nicht in Menschengestalt, nicht ohne Magie. Nicht ohne sein Horn. Dazu kam das andere Wesen, das ihn ebenfalls verfolgt hatte. Es war nicht anzunehmen, dass es ein Freund war.
    Schon als Fohlen hatte er immer wieder die Warnungen der Älteren vernommen: Seid euch der Reinheit eurer Ziele stets gewiss, sonst werdet ihr als Kentauren wiedergeboren, wenn ihr einst in den Klangnebel geht – unvollkommen und bedauernswert. Kanura wusste immer noch nicht, ob das stimmte oder ein Ammenmärchen war. Doch immerhin gab es Kentauren. Sie ließen sich nicht wegleugnen. Sie – oder die Mardoryx – waren auf der anderen Seite der Tür, vermutlich keine drei Schritte von ihm entfernt.
    Kanura war unendlich müde. Einen weiteren Kampf würde er verlieren. Ihm fiel auf, dass das Streitgespräch nun schon eine Weile vorbei war. Was hatte man mit dem Wesen gemacht? Und was war das gewesen?
    Hatten sie es umgebracht? Würden sie jeden umbringen, der ihnen nicht nützlich, sondern im Wege war? War er selbst noch nützlich, jetzt wo er kein Horn mehr hatte? Und wie stand es mit Una? Hatte man sie bereits gefunden? Und war sie noch von Nutzen?
    Vielleicht war sie schon tot.

Kapitel 46
    Irene schrieb einen Brief. Papier zu finden war nicht ganz einfach gewesen. Ein Brief wäre eine Weile unterwegs – eine SMS oder eine E-Mail hingegen gingen zu schnell. Sie musste Martin informieren, doch sie wollte sich noch etwas Zeit lassen. Sie konnte sich die Diskussion und die Schuldzuweisungen vorstellen, die die Nachricht auslösen würde: Sie hatte nicht gut genug auf ihre Tochter aufgepasst . Dass ihre Tochter volljährig war und nicht auf sich aufpassen ließ wie ein Kleinkind, würde dabei keine Rolle spielen.
    Irenes Stift schwebte unentschlossen über dem Blatt. Una ist verschwunden, hatte sie geschrieben. Das klang fürchterlich. Möglicherweise mit einem jungen Mann. Das klang schon harmloser. Auch wenn der Mann kein Mann war, sondern ein Einhorn. Aber das konnte sie nicht schreiben. Sein Vater und ich suchen nach den beiden. Das klang schon wieder seltsam. Sollte ich mich nicht mehr melden …
    Sie wusste nicht, wie sie den Satz beenden sollte. … dann bin ich ins Einhornreich gegangen und kann nicht zurück, klang wirklich sehr verrückt. Da würde sich Martin nicht um Unas Sicherheit sorgen, sondern um Irenes Geisteszustand.
    Doch ihm gar nicht Bescheid zu geben, wäre nicht richtig. Und schließlich hatte sie nicht wirklich vor, in irgendein Legendenreich zu wechseln, wenn es sich vermeiden ließ. Die Frage war: Ließ es sich vermeiden?
    » Schwierig? « , fragte Esteron, der mit einem Mal hinter ihr stand und ihr den Nacken kraulte.
    Sie liebte seine Hände. Es waren herrliche, starke Hände, und sie konnten wunderbare Dinge tun. Irenes Gedanken schweiften von ihrer Aufgabe ab und drifteten zurück zur letzten Nacht, die so schön wie außergewöhnlich gewesen war. Mut, Hoffnung und Kraft hatten sie sich geben wollen. So hatte Esteron es ausgedrückt. Und so war es gewesen. Doch es war auch mehr gewesen, ein Ritus von Stärke und Gemeinsamkeit. Eine Zeit ungeheurer

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