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Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)

Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)

Titel: Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ju Honisch
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empörte sie sich.
    » Diener Nummern « , flüsterte der Erdworg und machte gleichzeitig beschwichtigende Gesten, die deutlich anzeigten, dass Una ihre Stimme senken sollte. Jetzt holte der Mensch tief Atem und bewegte seine Kiefer, als müsste er Worte hervorkauen.
    » Ich bin der zwölfte Nachkomme des Dieners Dreiundfünfzig; vor zwölf Generationen kam jener in diese Welt und wurde A-Arbeiter « , sagte er ganz langsam und sehr leise. Er hielt sich dabei die Hand vor den Mund und hatte die Augenlider gesenkt.
    » Und als was hätte er sonst noch eingestuft werden können? «
    » T-Traumwerker « , sagte der Erdworg.
    » Es gibt keine Traumwerker mehr « , flüsterte Adreiundfünfzigzwölf mit Nachdruck, als müsste er die These gegen irgendetwas verteidigen. » Auch keine Barden. «
    » Menschen schweigen: Menschen leben « , erklärte der Erdworg.
    » Du … musst … schweigen lernen « , ergänzte Adreiundfünfzigzwölf.
    » Oder was? « , fragte Una genervt.
    » Barden sterben « , sagte der Erdworg. » Singen, spielen, sterben. «
    » Die Meister leeren sie. Es gibt keine Barden mehr. Wir sind keine Barden. Wir haben keine Stimme. Wir schweigen. « So viele Worte auf einmal schienen Adreiundfünfzigzwölf anzustrengen.
    Una verstand, was er sagte. Es war die ultimative Ausbeutung, deren Folgen sie in dem Raum mit den Skeletten gesehen und deren Auswirkung sie am eigenen Leib gespürt hatte. Man starb nicht gleich, sondern wurde langsam zugrunde gerichtet. Diese Menschen hier hatten offenbar einen Weg gefunden, nicht nützlich zu sein. Sie schwiegen. Aber frei waren sie dennoch nicht. Wie furchtbar, seine Sprache freiwillig aufzugeben, um nicht gehört zu werden. Keine Dichtung, keine Geschichte, nichts. Und keine Musik – diese Menschen kannten ganz sicher keine Musik. Sie lebten wie stumme Würmer versteckt in der Erde.
    Keine Kultur. Oder doch? Hatten sie, wie Menschen es überall versuchten, aus ihrer Situation eine eigene Kultur geschaffen, eine Zeichensprache, eine Schweigemystik? Stille Gebärdentänze? Was immer es war, es schien Una nicht erstrebenswert.
    Und was hieß das überhaupt, die Meister seien nicht tot, sondern ruhten nur? Wie lange ruhten sie gemeinhin? Hatten Kanura und sie die Mardoryx deshalb nicht gesehen, weil die gerade ein Schläfchen hielten? Während irgendwelche wild gewordenen Kentauren durch die Gänge der Burg tobten und dabei so gar nicht leise waren – geschweige denn schwiegen?
    Fragen über Fragen brachen über Una herein, und sie wusste nicht, welche sie zuerst stellen sollte.
    Sie wandte sich an den Erdworg. » Wer bist du? «
    » Bin Yurli. «
    » Ist das dein Name? «
    » Yurli. Spreche für Menschen. «
    » Nett von dir. «
    » Ich tausche. «
    » Du sprichst für sie und bekommst dafür etwas?
    » Werkzeug für Volk. «
    » Die Menschen machen Werkzeug für euch? « Sie blickte auf die menschlichen Hände des kleinen Wesens.
    Beide Kreaturen bedeuteten ihr nun durch heftige Gesten, dass sie so etwas nicht sagen dürfte. Offenbar war auch das ein Geheimnis. Wahrscheinlich mochten es die ruhenden Meister nicht, wenn ihre Diener noch anderen Wesen zu Diensten waren.
    » Werkzeug durch Berge « , murmelte jetzt Yurli. In der grünen Dunkelheit des Deckenzeltes leuchteten seine Augen wieder sehr orange.
    » Da geht es durch? Auf die andere Seite? « Kanura hatte von seiner Heimat auf der anderen Seite gesprochen. Dort sollte es friedlich und schön sein. Gab es von hier aus eine Möglichkeit, diese andere Seite zu erreichen? Das musste sie herausbekommen. Und dann musste sie unbedingt Kanura finden.
    » Alle zu groß für tiefen Schlupf « , sagte Yurli. » Noch. Noch lange. Große Gänge bringen Tod. «
    » Die Meisterberge sind verflucht! « , murmelte der Schamane jetzt. » Du bleibst. Du schweigst! Du lebst. Bezweihunderteinundzwanzigeins! «
    Sie starrte den ausgemergelten Mann an. Vielleicht dachte er tatsächlich, er eröffnete ihr eine wunderbare Möglichkeit? Die gnädige Aufnahme in ein Gemeinwesen, statt einsam zu sterben. Bei dem Gedanken, zu einem stummen Stammesmitglied zu verkommen, stellten sich ihr die Nackenhaare hoch, doch vielleicht war es nett gemeint. Sie gewährten ihr Gastfreundschaft, um sie vor dem Tod zu bewahren.
    Oder wollte er nur sich und seinen stummen Menschenstamm schützen? Sie war eine Gefahr; das zumindest verstand sie. Diese Menschen hatten sich in ihrem Elend eingerichtet, in Dunkelheit und Schweigen, in Dreck und in Not. Über

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