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Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)

Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)

Titel: Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ju Honisch
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an die Knie und durchnässte ihre Jeans. Irene spielte einfach weiter.
    Aus den Augenwinkeln sah sie, wie die Göttin die Hand über dem Wasser bewegte, als striche sie einen Stoff glatt. Schon war der Weiher wieder wie ein Spiegel. In der Schwärze formierten sich Bilder wie bei einem zu dunkel eingestellten Fernseher.
    Fast hätte Irene aufgehört zu spielen, doch sie machte weiter, strich mit Kraft über die Saiten, legte ihre ganze Seele in ihr Spiel, ließ die Wasseroberfläche dabei jedoch nicht aus den Augen.
    Sie sah eine Gestalt reglos auf einem Steinboden liegen. Das war nicht Una. Das war ein Mann. Sein langes, helles Haar verdeckte sein Gesicht. Sein Oberkörper war nackt. Seine Haltung war unnatürlich. Wach – oder lebend – würde niemand so daliegen.
    » Kanura! « , flüsterte Esteron. » O Talunys! Was ist mit ihm? «
    Wie eine Kameraeinstellung fuhr das Bild plötzlich nach oben, zeigte in unendliche Schwärze. Irene meinte, das Böse spüren zu können, das sich wie ein Pfad nach oben anbot. Wieder zwang sie sich weiterzuspielen. Nun drehte sich das Bild fort von dem finsteren Unheil, das direkt über Kanura hing. Waren das Wände – oder war das ein Sternenhimmel?
    Wasser. Nur schwarzes Wasser. Erneut strich Macha die Wogen glatt. Nun war ein langer Gang zu sehen, ab und zu eine Flügeltür, auf der gegenüberliegenden Seite Fenster. Alles schien riesig und wuchtig und von einer seelenlosen, eckigen Protzigkeit, die Irene an die Bauten Albert Speers erinnerten.
    » Wo ist das? « , flüsterte sie, doch niemand antwortete.
    Dann sah sie Una. Sie lief mit seltsam schweren Schritten an der Wand entlang. Sie wirkte abgekämpft, schleppte einen fast überquellenden Rucksack auf dem Rücken. Manchmal hielt sie inne und lauschte angestrengt, sah sich ängstlich um. Doch sie sah die Gefahr nicht kommen, deren Ankunft Irene bis in ihre Haarwurzeln spürte wie eine nahende Krankheit. Una schlich einfach weiter.
    » Una! Pass auf! Hinter dir! « , rief Irene und wusste doch, dass ihre Tochter sie nicht hören konnte.
    » Spiel weiter! « , befahl die Göttin, denn unwillkürlich hatte Irene den Bogen von den Saiten genommen. Und schon verwirbelte das Bild.
    Sie spielte. Kein Lamento mehr. Sie merkte erst nach den ersten Takten, dass sie die Melodie, ja das Genre gewechselt hatte. Gefahr erklang aus ihren Tönen. Was war das nur? Eines der Lieder, die Una so gerne hörte. » The Bard’s Song«.
    » Was Fröhliches « , mahnte Esteron hastig. » Spiel etwas Fröhliches! «
    Doch in der Finsternis, metertief unter der Erde in Gesellschaft der Göttin des Krieges fiel Irene nichts Fröhliches ein.

Kapitel 73
    Der Kentaur gehorchte nicht. Das war nicht vorgesehen. SIE strich ärgerlich über die Saiten IHRER Harfe. Sie klangen falsch, als störte sie eine fremde Melodie, die ihren eigenen Klang überlagerte und durchdrang. Doch hier gab es nichts und niemanden, der IHRE Musik hätte stören können. SIE allein war Herrin über Stille und Klang.
    So sang SIE :
    » Als das Wasser
    ward zu Toren,
    war der Krieg für euch verloren.
    Sterben Bardin
    und Verlierer –
    kommen in mein Netz zu mir her?
    Direkt ins Verderben hierher?
    Singt mir ein Felsenlied,
    singt es im Tod noch mit.
    Recken und Reiter,
    es geht nicht mehr weiter.
    Komm, kommt nur, alle,
    denn mein Berg ist eure Falle. «
    Es klang schief. SIE versuchte den Ursprung des Missklangs zu ergründen, doch SIE konnte den fremden Lärm nicht fassen. Wenn SIE lauschte, hörte SIE nur das Wasser, das durch den Berg floss und doch hier nicht immer gewesen war. Dieses Gebirge war weniger mit Wasser, denn mit Feuer gesegnet. Beides hatte SIE ge bändigt.
    SIE erfasste keine Melodie, konnte aber einen Rhythmus spüren, fröhlich und tänzerisch, als mochten Menschen dazu hüpfen und springen in ihrer wenig geschmeidigen Art.
    » Diddeldie-diddeldie-diddeldie-diddeldie … « , murmelte SIE und schlug dann wütend auf IHRE Saiten ein. Der Berg erzitterte ob IHRES Zorns.
    Es geschah zu viel gleichzeitig. SIE hatte Protu, IHREN ersten Schrat, nach Sto-Nuyamen geschickt, damit er das Horn holte, den Abtrünnigen bestrafte und ein Ungleichgewicht verhinderte. Ein Gleichgewicht war zu keinem Zeitpunkt so wichtig gewesen wie jetzt.
    Protu sollte jedoch auch südlich der Berge sein bei seinen Tweillingen, seinen Teilungsbrüdern, unterwegs, den lächerlichen Kampftrupp der Tyrrfholyn aufzureiben. SIE hatte die Fürstin unterschätzt. Doch das war nur ein zeitweiser

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