Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)
der Fürstin ein. Sie bewegten sich mal wie Raupen, mal wie Bälle, rollten und hüpften, wenn sie auf ihren vielen kleinen Füßen nicht schnell genug vorankamen. Sie öffneten ihre breiten Mäuler, die an irgendwelchen Stellen ihrer hässlichen Körper plötzlich klafften; ihre Zähne blitzten.
» Hre-Hyron! « , rief die Fürstin. » Ihr kommt zur rechten Zeit! «
Das dachte er auch, der Leithengst der Re-Gyurim. Er war genau rechtzeitig gekommen, um das hier zu Ende zu bringen. Ein wenig irritierten ihn die pelzigen Ungeheuer. Er hatte sie nicht erwartet. » Fürstin! « , sagte er nur und legte die Ohren an. Er hatte sich entschieden. Hätte er in seiner Einhorngestalt lächeln können, so wäre es ein dünnes Lächeln gewesen. Er wandte sich an seinen Clan.
» Macht sie nieder! « , befahl er. Die Re-Gyurim stürzten sich in den Kampf. Es war keine riesige Truppe. Die Anzahl derer, denen Hre-Hyron blind vertrauen konnte, war nicht so groß. Und andere hatte er nicht mitgenommen. Er wollte keine Verwicklungen, die Lage war schwierig genug. Nach dem Sieg war immer noch Zeit, die Spreu vom Weizen zu trennen, die Treuen zu belohnen und die Abtrünnigen zu strafen. Doch die Treue gehörte immer dem Sieger.
» Los! « , befahl er noch einmal, und sah, wie die ersten seiner Begleiter sich auf die Einhörner um Enygme stürzten, von denen die meisten den Ra-Yurich und einige wenige den Re-Hoyhn angehörten. Diese brauchten eine Weile, bis sie begriffen, dass hier nicht die Unterstützung kam, auf die sie so gehofft hatten. Ihr Entsetzen machte sie konfus und langsam. Es war, als könnten sie nicht glauben, was geschah. Auch schien es ihnen zu widerstreben, mit der nötigen Entschlossenheit gegen ihre eigenen Artgenossen vorzugehen.
Schwäche, dachte Hre-Hyron. Vor lauter Ethikgerede und Friedfertigkeit hatten sie vergessen, was und wer sie waren – die Herrscher dieser Welt, die Träger der Macht. Wenn sie die Macht nicht wollten, so sollten sie sie abgeben an jene, die bereit waren, sie auszuüben. Es war längst an der Zeit.
Hyron senkte sein Horn, konzentrierte sich und konnte doch nicht weghören von den erschrockenen Schreien derer, die plötzlich begriffen hatten, dass hier keine Freunde kamen.
» Verräter! « , zischte Astur und starrte Laerdyn, der die Seiten gewechselt hatte und nun neben Hre-Hyron stand, feindselig an. » Allesamt seid ihr Verräter! «
Enygmes Gruppe formierte sich im Kreis, und Astur nahm eine Position vor der Fürstin ein, um sie zu schützen. Sie alle wirkten erschöpft. Es würde nicht mehr lange dauern, dann gehörte der Sieg den Re-Gyurim. Dann würden sich die Dinge ändern. Ordnung würde in Talunys einkehren. Ordnung hieß Hierarchie. Menschen im Rat? Lächerlich. Sie hatten nie hierhergehört. Flüchtlinge und Bittsteller waren sie. Und Verrat? War es nicht eher Verrat an dem, was die Tyrrfholyn ausmachte, wenn man außer friedlichem Grasen nichts mehr zustande brachte, als sich ausgerechnet der Lebensweise der Menschen anzunähern?
Die Mardoryx hatten es damals falsch angefangen, doch grundsätzlich hatten sie nicht in allem unrecht, fand Hre-Hyron. Sie hätten den Krieg wohl gewonnen, wenn das Gebirge nicht dazwischengefahren wäre. Nun lebten sie würdig und herrschend im Norden, während die Re-Gyurim sich im Süden so lange erfolglos um die Herrschaft bemüht hatten.
Er hatte gehofft, mit Eryennis’ Freundschaft zum Fürstensohn seinen Anspruch auf die Herrschaft zu festigen. Doch Kanura war immer zu unzuverlässig und leichtfertig gewesen, als dass man hätte auf ihn bauen können. Er tobte mit Eryennis und Edoryas sinnlos durch die Gegend, hatte Sex wo und mit wem immer er gerade wollte und dachte nicht einmal daran, eine eigene dynastische Entscheidung zu treffen und die Seelenfreundin, mit der er so gerne Spaß hatte, zu der Seinen zu erwählen. Vermutlich war das noch nicht einmal Gehorsam gegenüber seinen überheblichen Eltern, sondern einfach nur Gedankenlosigkeit. Der Junghengst dachte nie weiter, als man mit dem Gemächt eben denken konnte.
So einer wie Kanura sollte nicht herrschen. Und das würde er auch nicht.
» Dein Sohn liegt tot jenseits der Berge, Enygme « , rief er der Fürstin hämisch zu. » Du wolltest doch wissen, wo er ist. Und dein Mann ist im Bach ersoffen. Sieh zu, dass du ihnen in den Klangnebel folgst! «
» Und was hast du mit deiner Tochter gemacht? « , fragte Enygme zurück. » Was hast du mit der armen, schönen Eryennis
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