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Die Quellen Des Bösen

Die Quellen Des Bösen

Titel: Die Quellen Des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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lasse mich nicht für etwas bestrafen, was du verschuldet hast.« Wie ein störrisches Kind zerrte er ihn zur Tür und warf ihm einen Mantel über. »Wir gehen zum Turm. Du stellst dich dem Spuk.«
    Aus Tøngafås anfänglichem Sträuben wurde ein halbherziger Widerstand, der sich schließlich legte. Beinahe lethargisch folgte er den beiden durch die Gassen, das Tor hinaus und den Strand entlang.
    »Der Gürtel riss«, sagte er auf der Hälfte der Strecke mehr zu sich selbst. Sein gläserner Blick richtete sich auf die Schwester der Toten. »Sie stürzte in die Tiefe. Ich war entsetzt, wusste nicht, was ich tun sollte, als ich ihren Körper zerschmettert auf den Klippen liegen sah… Meine Frau hätte es mir niemals verziehen. Ich hatte Angst, fürchtete mich vor den Folgen für mein bisheriges Leben.« Seine Schritte wurden langsamer. »Ricksele bedeutete mir dennoch unendlich viel. Hätte ich sie früher kennen gelernt, wäre sie meine Frau geworden.«
    Die Priesterin schluckte schwer, als sie zum ersten Mal hörte, wie ihre Schwester wirklich ums Leben gekommen war, und sie vergoss stille Tränen.
    »Ein praktischer Unfall«, knurrte Waljakov. »Los, weiter. Es fängt an zu regnen. Wenn ein Sturm aufkommt, möchte ich nicht ewig dort oben ausharren müssen, bis du die Angelegenheit geregelt hast.«
    »Sieht sie immer noch aus wie früher?« Tøngafås Blick umwölkte sich. Die Vergangenheit, die jahrelang unterdrückten Schuldgefühle brachen hervor und bemächtigten sich seiner. Widerstandslos trabte er hinter dem Hünen her und erklomm die Stufen, bis sie endlich oben auf dem Kliff angelangten.
    Wie angewurzelt blieb der Kalisstrone stehen, als er den Ort erkannte, an dem das schreckliche Unglück vor mehr als zwei Dekaden geschehen war.
    Waljakov packte ihn am Arm und katapultierte ihn in die Nähe des Abgrunds. »Jetzt warten wir, bis etwas geschieht.« Er winkte den Türmlern, die neugierig in ihre Richtung blickten und sich über das rege Treiben an ihrem Beobachtungspunkt sehr wunderten. »Tut eure Arbeit und schaut aufs Meer!« Eilig gehorchten sie.
    Håntra stellte sich an Waljakovs Seite und betrachtete ihren Landsmann. »Ich bete zu Kalisstra«, flüsterte sie und hielt sich am Arm ihres Gefährten fest.
    Vom Spuk fehlte jedoch jede Spur. Der Wind nahm an Stärke zu, die Wolken wurden dunkel und schwarz.
    Tøngafå rief immer wieder den Namen der Verstorbenen, lenkte seine Schritte bis dicht an die Bruchkante, wie um zu schauen, ob er ihren Leichnam im schäumenden, sich brechenden Wasser entdeckte.
    Der Regen strich nun bindfadendick über die karge Grasfläche des Plateaus und durchnässte die drei Gestalten mehr und mehr.
    Waljakov schien zur Statue geworden zu sein. Er bewegte sich erst wieder, als Håntra vor Kälte mit den Zähnen klapperte. Anstandslos zog er seinen Umhang aus und legte ihn ihr um.
    Plötzlich befiel ihn ein ungeheurer Druck im Kopf, der ihn zum Aufstöhnen brachte. »Sie muss irgendwo sein«, presste er hervor.
    Besorgt wandte sich die Priesterin um, taumelte rückwärts und legte sich eine Hand vor den Mund.
    »Ihr habt mir den gebracht, für den ich starb«, sagte eine Frauenstimme hinter Waljakov.
    Der K’Tar Tur wirbelte herum und schaute in das Gesicht von Ricksele, die ihrer Schwester so ähnlich sah.
    »Ich sage meinem alten Freund rasch guten Tag.« Ihre bleichen Finger hoben sich langsam und strichen dem Hünen über die Stirn, woraufhin das Gefühl, dass sein Schädel bersten müsse, endlich erstarb. »Euch beiden sage ich Dank dafür.« Sie schaute Håntra warm an. »Und dir sage ich auf Wiedersehen, Schwester.«
    Rickseles Spukgestalt schwebte hinüber zu ihrem Geliebten und berührte ihn sanft an der Schulter, wisperte ihm etwas ins Ohr. Er drehte sich zu ihr um und erschrak sichtlich. Fahrig fummelte er etwas aus seiner Manteltasche und hielt es Ricksele hin, dann brach er in verzweifeltes Weinen aus. Der Geist nahm den Gegenstand in die Hand und betrachtete ihn.
    »Es ist der gerissene Gürtel! Er hat den Gürtel all die Jahre aufgehoben«, sagte Håntra bewegt und rückte dichter an den ehemaligen Leibwächter heran.
    Ricksele gab den Gürtel frei. Ein starker Luftzug trug ihn fort, weg von den Steilhängen und wehte ihn in Richtung der offenen, aufgewühlten See. Tøngafå und Ricksele ­ der Mann und die Spukgestalt ­ sanken einander in die Arme und verharrten so.
    Schließlich wandte sich der Kalisstrone zum Abgrund und lehnte sich langsam in den Wind.

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