Die Quellen Des Bösen
mit beiden Händen und lauschte, ob seine Flucht vernommen worden war.
Nur die Nacht redete mit ihm in ihrer eigenen Sprache. Sanft strich der Wind durch das Schilf, Tiere veranstalteten ihr Konzert, leise gluckerte das restliche Wasser des schmalen Rinnsals hinter ihm vorbei.
Die Anspannung wich; aufatmend sackte der Mensch in sich zusammen, rang nach Luft. Das gedämpfte Plätschern erinnerte ihn an den eigenen Durst, den er vorher aus Angst vor den Häschern nicht zu stillen gewagt hatte.
Er rammte das Schwert in den Sand, rutschte zum Bach und schöpfte Wasser mit den Händen, um zu trinken. Dabei fiel sein Blick auf eine Pfütze, in der sich die Monde und seine bis zur Unkenntlichkeit verdreckten Gesichtszüge spiegelten.
Beinahe ungläubig betastete der Mann die allmählich verkrustenden Wunden auf den Wangen und am Hals, zeichnete mit dem Zeigefinger die Konturen des blassen, mit hellen Bartstoppeln versehenen Antlitzes nach, in das die langen blonden Haare fielen. Die Züge wirkten eingefallen, abgehärmt und vermittelten eine tiefe Grundtraurigkeit.
Schau, was aus dir geworden ist, Lodrik Bardri¢ , dachte er schwermütig. Vom mächtigsten Mann des Kontinents hin zu einem Wesen, das selbst das Reich der Toten nicht haben wollte. Er berührte die Wasseroberfläche, die Reflexion verzerrte sich. Oder war es nur ein Traum? Schwungvoll schüttete er sich die klare, kalte Flüssigkeit ins Gesicht. Die Wunden brannten augenblicklich, dreckiges Wasser perlte aus dem Bart und troff zu Boden. Die Hände im Bach, verharrte er vornüber gebeugt.
Wenn es einer ist, so erwache ich nicht.
Lodrik stand auf, zog die Klinge aus dem Sand, schulterte sie und trabte weiter, ohne zu wissen, wohin er ging.
Sein Verstand, so fühlte er sich zumindest, war durcheinander geschüttelt worden. Alle Gedanken, alle Ideen, alle Erinnerungen und Eindrücke wirbelten umher, kollidierten miteinander, verschmolzen und bildeten ein Gemisch, in dem er sich nicht zurecht fand.
Verwirrt, abwesend wanderte er immer geradeaus.
Sein Hunger meldete sich mit Vehemenz, als er irgendwann den schwachen Geruch von Feuer wahrnahm. Einer der elementarsten Triebe riss ihn aus seiner Betäubung, erweckte seine Sinne zum Leben.
Er fasste das Schwert fester und schritt aus. Schließlich gelangte er auf eine Lichtung.
Die Reste von verkohlten Palisaden erhoben sich dort, letzte schwarze Mauerreste standen wie Gebäudeskelette auf dem Areal dahinter.
Verteidigungsbereit stieg er über die Ruinen menschlicher Behausungen. In dem ein oder anderen Pfosten steckten Armbrustbolzen, und bei näherer Betrachtung entdeckte er große, dunkelbraune Flecken auf der Erde der Ansiedlung.
Ein Totendorf , verstand Lodrik schwerfällig. Gedankenblitze aus seiner Jugend schossen aus der hintersten Ecke seines Hirns, beleuchteten das entstellte Gesicht des Vorstehers in Granburg, dem die Fleisch- und Knochenfäule das Gesicht zerfraß. Jemand hat ein Totendorf überfallen. Was kann man denn diesen armen Teufeln noch rauben?
Er machte sich nichtsdestotrotz auf die Suche nach etwas Essbarem und durchforschte die Trümmer nach nicht verbrannten Vorräten.
Tatsächlich fand er einen gesprungenen Topf mit eingelegtem Kraut und einen nur halb verbrannten Laib Brot. Gierig machte er sich darüber her.
Doch schon nach dem ersten Bissen fühlte er sich satt. Als er sich zu einem weiteren zwang, stieg Übelkeit in ihm auf, nur mit Mühe behielt er die Nahrung bei sich.
Den Hufschlag hörte er viel zu spät und fuhr erst herum, als der Reiter bereits das zusammengestürzte Tor passierte.
Lodrik ließ seine Beute fallen und suchte zwischen den Ruinen Schutz.
Den Geräuschen nach zu urteilen, stieg der Reiter ab und rannte zwischen den zerstörten Überresten umher, dabei rief er immer wieder Namen wie Damascha und Bjuta. Seine junge Stimme klang voller Sorge.
Dann kamen die Stiefel in seine Richtung.
Lodrik rutschte in seinem Versteck weit nach hinten in die Schatten und reckte das Schwert nach vorn, um den Mann jederzeit aufspießen zu können. Er wird mich nicht bekommen.
»Ich habe dich vorhin gesehen«, sagte der Reiter bedächtig. »Ich tue dir nichts. Ich gehöre nicht zu denen, die das Dorf überfallen haben.« Ein Teil seines Gesichts erschien zwischen den Trümmerstücken. Lodrik erkannte im Glanz der Monde blaue Augen. »Wer war das, und wann geschah es?«
»Geh weg!«, befahl der immer noch verstörte Lodrik panisch. »Oder ich steche zu. Ich weiß nichts,
Weitere Kostenlose Bücher