Die Rache
Elfendieb
München, Deutschland. Gegenwart.
Diebe haben ihre eigenen Legenden. Geschichten von genialen Beutezügen und todesmutigen Räubereien. Eine dieser Legenden handelt von der ägyptischen »Katze«, dem Einbrecher Faisal Mahmood, der in die Kuppel des Petersdoms geklettert war, um sich zu einem Bischof, der zu Besuch war, abzuseilen und ihm den Krummstab zu stehlen.
Eine andere Geschichte erzählt von der Trickbetrügerin Red Mary Keneally, die sich als Herzogin verkleidet unter die Gäste der Krönungsfeier des englischen Königs geschmuggelt hatte. Der Buckingham-Palast dementierte den Zwischenfall, aber gelegentlich taucht bei Auktionen eine Krone auf, die der im Londoner Tower verblüffend ähnlich sieht.
Die vielleicht spannendste Legende ist die des verlorenen Meisterwerks von Hervé. Wie jeder Erstklässler weiß, war Pascal Hervé der französische Impressionist, der außergewöhnlich schöne Bilder vom Volk der Elfen gemalt hat. Und wie jeder Kunsthändler weiß, werden die Bilder von Pascal Hervé zu Preisen gehandelt, die nur noch von van Gogh übertroffen werden, und die gehen für gut fünfzig Millionen Euro über den Tisch.
Die Elfenserie von Pascal Hervé umfasst fünfzehn Bilder. Zehn hängen in französischen Museen, und fünf gehören Privatsammlern. Aber in den höheren Verbrecherkreisen kursieren Gerüchte, dass noch ein sechzehntes existiert, Der Elfendieb , das einen Elf dabei zeigt, wie er ein Menschenkind stiehlt. Überlieferungen zufolge soll Hervé das Bild einem schönen türkischen Mädchen geschenkt haben, dem er auf den Champs-Elysees begegnet war. Das Mädchen brach ihm prompt das Herz und verkaufte das Bild für zwanzig Francs an einen englischen Touristen. Wenige Wochen später wurde das Bild aus dem Haus des Engländers gestohlen. Und danach wurde es aus Privatsammlungen auf der ganzen Welt immer wieder entwendet. Seit Hervé sein Meisterwerk gemalt hat, ist der Elfendieb vermutlich insgesamt fünfzehn Mal gestohlen worden. Doch was diese Diebstähle unterscheidet von Millionen anderen, die während dieser Zeitspanne begangen wurden, ist, dass der erste Dieb beschloss, das Bild selbst zu behalten. Und das taten alle anderen auch.
Der Elfendieb ist zu einer Art Trophäe für die besten Diebe der Welt geworden. Nur ein Dutzend von ihnen wissen, dass es existiert, und davon wissen wiederum nur eine Hand voll, wo es sich befindet. Dieses Gemälde ist für Verbrecher das, was der Turner Prize für Künstler ist. Wem es gelingt, das verlorene Bild zu stehlen, der gilt als Meisterdieb seiner Generation. Nicht viele wissen von dieser Herausforderung, aber jene, die eingeweiht sind, gehören zur Elite.
Selbstverständlich wusste Artemis Fowl vom Elfendieb , und vor kurzem hatte er auch herausgefunden, wo sich das Bild befand. Es war ein unwiderstehlicher Test seiner Fähigkeiten. Wenn es ihm gelang, den verlorenen Meister zu stehlen, würde er der jüngste Dieb in der Geschichte dieses Werks sein.
Sein Leibwächter, der riesige Eurasier Butler, war nicht allzu erfreut über das neueste Projekt seines Schützlings.
»Das gefällt mir nicht, Artemis«, sagte Butler mit seiner dröhnenden Bassstimme. »Mein Instinkt sagt mir, dass es eine Falle ist.«
Artemis Fowl schob Batterien in seinen Gameboy.
»Natürlich ist es eine Falle«, sagte der vierzehnjährige irische Junge. » Der Elfendieb lockt Diebe seit Jahren in irgendwelche Fallen. Das macht es ja gerade so spannend.«
Sie fuhren in einem gemieteten Hummer H2 in Richtung Stadtmitte. Das Militärfahrzeug war nicht Artemis' Stil, aber es passte zu den Rollen, die sie angenommen hatten. Artemis saß hinten und kam sich albern vor, weil er nicht seinen gewohnten dunklen Zweiteiler trug, sondern normale Teenagerkleidung.
»Diese Klamotten sind absurd«, sagte er und zog den Reißverschluss seiner Sportjacke hoch. »Wozu soll eine Kapuze gut sein, die nicht wasserdicht ist? Und diese ganzen Logos. Ich komme mir vor wie eine wandelnde Werbefläche. Und die Jeans passen überhaupt nicht. Sie hängen mir bis in die Kniekehlen.«
Butler blickte lächelnd in den Rückspiegel. »Ich finde, Sie sehen gut aus. Juliet würde sagen, Sie sehen krass aus.«
Juliet, Butlers jüngere Schwester, war derzeit mit einer mexikanischen Ringertruppe in den Vereinigten Staaten und versuchte, dort groß herauszukommen. Ihr Ringname war Jade-Prinzessin. »Ich fühle mich auf jeden Fall krass«, sagte Artemis. »Und dann diese komischen
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