Die Rache
selbst aus der Gefahr befreit hatte, lautete die oberste Regel seit jeher, nach Hause zurückzukehren. In beiden Fällen war das Ziel Fowl Manor, und genau dorthin machte Butler sich jetzt auf.
Temple Bar, Dublin, Irland.
Artemis hatte sich so weit erholt, dass seine angeborene Neugier wieder die Oberhand bekam. Er ging in dem voll gestellten Raum umher und betastete die schwammartige Oberfläche der Wände.
»Was ist das? Eine Art Überwachungsversteck?«
»Genau«, sagte Holly. »Ich war vor ein paar Monaten hier im Einsatz. Ein paar ausgerissene Zwerge haben sich in diesem Schlupfloch mit ihren Edelsteinhehlern getroffen. Von außen sieht es einfach aus wie ein Stück Himmel oberhalb eines Hauses. Es ist eine Tarnkapsel.«
»Verstehe. Und das Material funktioniert vermutlich nach demselben Prinzip wie Ihr Anzug.«
»Ja, es ist der Haut eines Chamäleons nachempfunden.«
»Ich nehme an, Sie wissen, dass Chamäleons ihre Hautfarbe in Wirklichkeit nicht nach der Umgebung ausrichten, sondern nach Stimmung und Außentemperatur.«
Holly blickte hinaus auf Temple Bar. Unter ihnen schlenderten Tausende von Touristen, Musikern und Anwohnern durch die Straßen mit den kleinen Kunsthandwerksläden. »Das musst du Foaly sagen. Er entwickelt das ganze Zeug.«
»Ach ja, Foaly«, sagte Artemis. »Er ist ein Zentaur, nicht wahr?«
»Genau.« Holly wandte sich zu Artemis um. »Du nimmst das alles sehr gelassen. Die meisten Menschen drehen völlig durch, wenn sie von uns erfahren. Manche fallen sogar in einen Schockzustand.«
Artemis lächelte. »Ich bin nicht wie die meisten Menschen.« Holly richtete den Blick wieder nach draußen. Gegen diese Feststellung hatte sie wenig vorzubringen. »Aber sagen Sie, Captain Short, wenn ich für das Erdvolk nur eine Bedrohung bin, warum haben Sie mich dann geheilt?«
Holly lehnte die Stirn gegen die durchsichtige Wand der Tarnkapsel. »Das ist unsere Natur«, erwiderte sie. »Außerdem brauche ich dich, um Opal Koboi zu finden. Wir haben es schon mal geschafft, und wir können es wieder schaffen.«
Artemis stellte sich neben sie ans Fenster. »So, so, erst verpassen Sie mir eine Erinnerungslöschung, und jetzt brauchen Sie mich?«
»Ja, Artemis. Aal dich in deiner Selbstgefälligkeit, so viel du willst. Die mächtige ZUP braucht deine Hilfe.«
»Dann sollten wir aber über mein Honorar sprechen«, sagte Artemis und knöpfte das Jackett zu, um den Blutfleck auf seinem Hemd zu verdecken.
Holly fuhr herum. »Dein Honorar? Soll das ein Witz sein? Nach allem, was das Erdvolk für dich getan hat? Kannst du nicht ein Mal in deinem Leben etwas umsonst tun?«
»Offenbar seid ihr Unterirdischen ein emotionales Volk. Wir Menschen sind da etwas geschäftsmäßiger. Die Sache sieht doch so aus: Sie sind ein Justizflüchtling und obendrein auf der Flucht vor einer genialen, mordlustigen Wichtelin. Sie haben kein Geld und kaum Hilfsmittel. Und ich bin der Einzige, der Ihnen helfen kann, diese Opal Koboi zu finden. Aus meiner Sicht ist das durchaus ein paar Goldbarren wert.«
Holly starrte ihn wütend an. »Wie du schon sagtest, Menschenjunge, ich habe kein Geld.«
Artemis breitete großzügig die Arme aus. »Ich bin bereit, mich auf Ihr Wort zu verlassen. Wenn Sie mir eine metrische Tonne Gold aus Ihrem Entführungs-Fonds garantieren, werde ich mir einen Plan ausdenken, um Opal Koboi auszuschalten.«
Holly steckte in der Klemme, und sie wusste es. Sie hatte keinen Zweifel, dass Artemis ihr bei der Jagd auf Opal sehr nützlich sein konnte, aber es ging ihr gegen den Strich, jemanden zu bezahlen, der einmal ein Freund gewesen war.
»Und was ist, wenn Koboi uns besiegt?«
»Wenn sie uns besiegt und in dem Fall vermutlich beide umbringt, können Sie das Versprechen als null und nichtig betrachten.«
»Na toll«, knurrte Holly. »Das wäre es fast noch wert.« Sie wandte sich vom Fenster ab und begann, im Medizinschrank der Tarnkapsel zu kramen. »Weißt du was, Artemis? Du bist genauso wie damals bei unserer ersten Begegnung, ein geldgieriger Menschenjunge, der sich nur für sich selbst interessiert. Willst du wirklich für den Rest deines Lebens so bleiben?«
Artemis verzog keine Miene, aber in seinem Innern tobten die Gefühle. Selbstverständlich war es richtig, ein Honorar zu verlangen. Es wäre dumm, es nicht zu tun. Aber allein die Frage danach hatte in ihm schon Schuldgefühle ausgelöst. Das lag an seinem dämlichen neuen Gewissen. Seine Mutter schien es nach Lust und
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