Die Rache-Agentur
Grün gesprungen war, drückte sie die Nase in seine Richtung gegen das Fenster. Der arme Kerl. Vielleicht hellte das seinen Tag ein wenig auf. Wahrscheinlich wurde er heute in einem Einkaufszentrum von einem Geschäft ins nächste gezerrt, während er sich Weihnachtsberieselung anhören und Schläge auf die Hand gefallen lassen musste, wann immer er etwas anfasste.
Nachdem sie den Wagen auf einen engen Parkplatz in der Straße ihrer Mutter gezwängt hatte, warf Flick einen Blick in den Spiegel und seufzte. Zögerlich stieg sie aus dem Auto. Ihr war bewusst, dass sie Alkoholexzesse mit zunehmendem Alter immer schlechter wegsteckte. Vielleicht war aber auch der billige Wein schuld an ihrem Kater.
«Ju-huuu.» Flick versuchte die Vordertür aufzudrücken, musste sich jedoch dagegenlehnen und schließlich einen Karton mit Broschüren umrunden, der direkt dahinter stand und das jüngste Einsatzgebiet ihrer Mutter dokumentierte auf einer langen Liste bürgerschaftlichem Engagements. Dies umfasste Frauenrechte, nukleare Abrüstung, den Schutz von Walen, Pandas und der Regenwälder. Jahrelang war Flick zu Protestaktionen mitgenommen oder gezwungen worden, jedes, aber auch wirklich jedes Wochenende Handzettel in die Briefkästen der Nachbarschaft einzuwerfen. Ihre Mutter hatte die Rettung des Planeten für sich zur Chefsache erklärt. Flucht war unmöglich, sobald Flick das Haus betrat: Sie musste sich um die Berge recyclingfähiger Materialien schlängeln, die den Flur und jede Ecke des winzigen Hauses verstopften, bis sie irgendwann nach draußen in den uralten Volvo geschafft wurden.
«Hier oben bin ich.»
«Ich schalte den Wasserkocher ein», rief Flick.
«Mach ihn nicht zu voll.» Flick bewegte die Lippen synchron zu den Worten, die ihr ihre Mutter aus dem Schlafzimmer entgegenträllerte. «Ja, ja.»
Nachdem sie auf Zehenspitzen diverse Kisten mit Papier und Pappe, Schalen und leeren Bioweinflaschen umtänzelt hatte, füllte Flick den Kessel bis zu jener Markierung mit Wasser, die ihre Mutter daraufgemalt hatte. Dann löffelte sie etwas von dem Pulver in zwei Kaffeebecher, auf das ihre Mutter bestand, weil es in keiner Weise zur Ausbeutung ausländischer Arbeitskräfte beitrug.
«Schätzchen!» Ihre Mutter kam wie ein Wirbelwind zur Küchentür herein, dicht gefolgt von ihrer Katze. Klein und untersetzt, hätte ihre Mutter gut ein bisschen Make-up vertragen können, aber sie verzichtete aus politischen Gründen darauf, sich zu schminken.
«Du siehst ja grauenvoll aus!»
«Ich freue mich auch, dich zu sehen, Ma», murmelte Flick.
«Hast du dir wieder die Nacht um die Ohren geschlagen?» Ihre Mutter goss das kochende Wasser in die beiden Becher. «Milch?»
«Nur, wenn es keine Ziegenmilch ist und den Kaffeegeschmack erträglicher macht.»
«Also. Weihnachten.» Flick spürte, wie eine Welle der Resignation sie durchspülte, als ihre Mutter die dampfenden Becher geräuschvoll auf dem Tisch abstellte und sich auf den Küchenstuhl sinken ließ. Sie wusste, dass sie das Weihnachtsgespräch nicht ewig vor sich herschieben konnte. Es war ja nicht so, dass sie oder ihre Mutter besonders begeistert waren, den Heiligabend gemeinsam zu verbringen. Doch da sie beide nicht den ersten Schritt machen wollten, ihn abzusagen, taten sie weiterhin so, als müsse man ein Fest daraus machen. «Wie sehen deine Pläne aus?» Immer die gleiche Frage.
Flick seufzte. «Ich gehe an Heiligabend in mein Pub, trinke zu viel Glühwein, wache mit einem Kater auf, fahre zu dir, und wir verdrücken gemeinsam unsere Falafel. Danach sehen wir uns eine Wiederholung von
Only Fools and Horses
und einen Harrison-Ford-Streifen an und runden das Ganze mit einer Folge
Eastenders
ab, in der irgendjemand irgendjemanden sitzenlässt und auf dramatische Weise offenbart, er habe eine Affäre mit ihrem Sohn, ihrer Tochter oder ihrer Katze, und das genau in dem Moment, in dem gerade der Truthahn angeschnitten wird.»
Flicks Mutter schnalzte tadelnd mit der Zunge. «Du bist eine äußerst zynische Person, junge Dame. Das ist nicht gesund.»
«Ach, komm schon, Mum. Das ist doch alles Käse, und du weißt es. Seit Dad abgehauen ist, haben wir keinen Spaß mehr gehabt, oder?» Flick sah, wie ein schmerzhafter Schatten überdas Gesicht ihrer Mutter huschte, bevor sie in ihren Becher blickte.
«Nein, das stimmt. Und es tut mir leid.»
Flick wusste, dass sie zu hart gewesen war. «Es ist nicht dein Fehler. An Weihnachten zeigen wir uns eben alle von unserer
Weitere Kostenlose Bücher