Die Rache-Agentur
fragenden Blick zu, die ihr lächelnd zunickte. Vorsichtig nahm Georgie Mike das Baby ab. «Hallo, Evie, du bist aber ein hübsches Mädchen.» Georgie betrachtete ihren suchenden Blick und die gespitzten Lippen. «Oh, sie ist ja so süß. Einfach perfekt.»
Ed warf ihr ein schiefes Lächeln zu. «Ach, herrje. Ich kenne diesen Blick. Den habe ich schon drei Mal gesehen. Jetzt ist Aufpassen angesagt. Gibst du mir noch von dem Roten, Mike? Er schmeckt tatsächlich ziemlich gut, und nach einem weiteren Glas ist ohnehin nichts mehr mit mir anzufangen.»
Alle mussten lachen, und Georgie lächelte tapfer. Sie wusste, dass ihre Chancen immer geringer wurden. Irgendwie schien nie der richtige Zeitpunkt zu sein. Aber man durfte doch die Hoffnung nicht verlieren, oder?
Flick hatte sich am Samstagabend zur Dinnerparty ihrer Freundin Camilla verspätet, doch diesen Zeitverlust hatte sie mehr als wettgemacht, indem sie kräftig dem Rioja zugesprochen hatte. Als sie am Sonntagmorgen aufwachte, fühlte sie sich, als wäre ihr ein Panzer über den Kopf gerollt. Sie wagte kaum, die Augen zu öffnen – die Regentropfen, die gegen das Fenster schlugen, verrieten ihr, dass es sich ohnehin kaum lohnen würde –, weil sie sich an nicht mehr viel erinnern konnte. Da war dieser dunkelhaarige Aktienhändler gewesen, den Camilla neben sie gesetzt und mit dem sie den ganzenAbend unverschämt geflirtet hatte. Aber waren sie wirklich … oder nicht? Er war ja wirklich ganz süß gewesen.
Doch dann erinnerte sich Flick schemenhaft daran, dass sie allein mit dem Taxi nach Hause gefahren war und nur mit einiger Mühe den Schlüssel ins Schloss bekommen hatte. Sie spürte, wie Erleichterung und Scham sie gleichzeitig überkamen.
«Du lieber Himmel, es ist wohl besser, wenn du dein Leben endlich in den Griff bekommst.»
Der zweite Grund, weshalb sie wenig Lust hatte, die Augen zu öffnen, war die Aussicht darauf, ihre Mutter zu sehen. Sie hatte die Verabredung mit ihr bereits an den letzten beiden Wochenenden verschoben, doch heute gab es kein Entrinnen. Zögernd öffnete sie ein Auge und spähte auf den Wecker. Neun Uhr dreißig. Sie schob die Beine so langsam unter der Decke hervor wie jemand, der schwer krank und lange ans Bett gefesselt gewesen war, und setzte sich auf. Mit beiden Händen hielt sie den Kopf umfasst, bis das Pochen in ihrem Schädel langsam nachließ.
Nach einer Tasse Kaffee, die so stark war, dass die meisten ihrer Freunde sie nicht runterbekommen hätten – Georgie sprach immer von Flicks Maschinenöl –, setzte sie sich in den Wagen und fuhr nach Mitcham. Sie wusste, dass dieser Stadtteil als das Wimbledon des armen Mannes galt. Mitcham reichte nicht einmal an Surrey oder den Guilford-Golfclub im betuchten Londoner Viertel Richmond heran. Viele ihrer Agenturkunden hatten vermeintliche Immobilienschnäppchen in Mitcham gemacht, nachdem sie sich in den sonnigen Straßen von Wimbledon nichts hatten leisten können. Jenem Ort mit seinen bizarren Läden und einer Atmosphäre geschmackvoller Lebensart, die er den zwei Wochen im Jahr verdankte, in denen er im Zentrum des Medieninteresses stand. Doch das Mitcham, das Flick kannte, erzählte eine ganz andere Geschichte. Sie war dort aufgewachsen, und fürsie war der Stadtteil nichts weiter als eine öde Ansammlung von Nachkriegsbauten, die sich mit dem städtischen Wachstum ausgebreitet hatten.
Wie im Schlaf, was faktisch stimmte, überholte sie Busse und langsamere Autos, die für einen Tagesausflug in Richtung Südwesten fuhren, zweifellos, um ihre Insassen zum Shoppen zu bringen – die Lieblingsbeschäftigung der meisten Briten. Sobald ihr jemand in den Weg kam, hupte sie. Ihr Scheibenwischer versuchte tapfer, mit den plötzlichen Spritzfontänen fertigzuwerden, die von den vorbeifahrenden Autos kamen. Es war ein eiskalter, grauer Tag, und Flick trommelte mit den Händen auf dem Lenkrad herum, während sie an der Ampel stand. Neben ihr war ein großer, heruntergekommener Kombi zum Stehen gekommen, und aus einem der Seitenfenster starrte ein mürrisch wirkender Junge. Flick konnte einfach nicht anders. Sie streckte ihm die Zunge heraus und verdrehte die Augen zu einem Schielen.
Der Junge setzte ein breites Lächeln auf, ging auf Nummer sicher, dass seine Eltern nichts davon mitbekamen, und zog selbst eine Grimasse, indem er sich die Augenlider nach unten zog und zwei Finger in die Nasenlöcher steckte. Flick lachte, und als sie Gas gab, sobald die Ampel auf
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