Die Rache der Engel
Theologie befasst und hielten die Yeziden für friedfertige Menschen. Aber womöglich waren sie auch durch die feinen Bande parteiisch, die sie selbst mit John Dee verband. Beide– die Yeziden ebenso wie der englische Magier– behaupteten, mit höher stehenden Intelligenzen kommuniziert und sogar » Bücher« und » Himmelstafeln« gesehen zu haben, die ihnen einen direkten Zugang zum Schöpfer gestatteten.
Und genau das war es, was Martin– den Anregungen seines Vaters folgend und von dem Projekt, für das er arbeitete, angetrieben– in Armenien gesucht hatte.
» Wissen Sie was?« Artemi Dujok machte auf dem Absatz kehrt, um das Getuschel seiner Gefangenen zu unterbinden. Sein Blick war fest auf Martin gerichtet. » Es würde mich nicht wundern, wenn Sie Ihren Ehrgeiz von Ihrem Vater geerbt hätten.«
» Von meinem Vater?«, platzte Martin heraus. » Kennen Sie ihn denn?«
» Mr Faber, also bitte. Ihre Naivität erschüttert mich. Ich kenne nun wirklich jede einzelne Person, die mit dem Elias-Projekt zu tun hat. Es gab sogar eine Zeit, in der ich selbst dafür gearbeitet habe, und zwar noch bevor Sie Ihren Verstand benutzen konnten. Aber ich habe damit aufgehört, als ich hinter die tatsächlichen Beweggründe Ihres Landes kam.«
» Sie haben einmal für das Elias-Projekt gearbeitet?«
Die Augen des Armeniers funkelten ebenso wild wie die des jungen Amerikaners.
» Ja. Und wie ich sehe, sind ihre Mitarbeiter immer noch fest entschlossen, das Monopol über die Steine um jeden Preis an sich zu reißen.«
Nicholas Allen war verwirrt. Er verstand überhaupt nicht mehr, worüber die beiden Männer sprachen. Die Yeziden kannten also die Eltern seines Kollegen? Was zum Teufel hatte es mit diesem Elias-Projekt auf sich? » Also, eins verstehe ich nicht so recht«, setzte Martin an, » warum haben Sie uns hierher gebracht? Zu einem Ihrer berühmten Türme…«
Dujok trat mit auf dem Rücken verschränkten Händen zu seinen Gefangenen:
» Ich freue mich sehr, dass Sie diesen Ort erkennen, Martin Faber. Aber ich habe von Ihnen auch nichts anderes erwartet.«
» Ich habe in den Büchern von William Seabrook darüber gelesen. Und auch bei Gurdjieff.«
›Was für Türme?‹ Allen war fassungslos. ›Gurdjieff? Seabrook?‹
» Haben Sie zufälligerweise auch gelesen, was Puschkin oder Lovecraft über uns sagen?«, fragte der Armenier böswillig nach. » Vielleicht wissen Sie es ja, aber es ist meine Pflicht, Sie darauf hinzuweisen, dass alle lügen. Gurdjieff, der berühmteste Mystiker aus meinem Land, hat diese Türme nicht einmal zu Gesicht bekommen. Aber er ist in Europa unverdientermaßen bekannt geworden, nur weil er seine Pamphlete auf Französisch veröffentlich hat.«
» Aber William Seabrook hat durchaus Ihr Geheimnis entdeckt, nicht wahr?«
» Seabrook schon«, brummte Dujok.
» Er war ein Okkultist und Reporter, der Anfang des 20 . Jahrhunderts für The New York Times gearbeitet…«
» Ich weiß sehr wohl, wer Seabrook war, Mr Faber. Er war der Erste, der Details über diese Bauwerke veröffentlicht hat«, fiel ihm der Armenier ins Wort, während er auf die gewaltige steinerne Nadel deutete, die unter dünnen Wänden aus Lehmziegeln und Plastikplanen versteckt lag. » Dieser Dummkopf hat sie als ›Türme des Bösen‹ bezeichnet, weil er meinte, dass sie Vibrationen ausstrahlen, mit denen der Satan die Welt beherrscht. Aber als er über sie schrieb, konnte er nicht einmal ihre Existenz beweisen. Die meisten Türme waren zerstört oder bestenfalls von anderen Gebäuden zugedeckt.«
» Ich habe Adventures in Arabia von ihm gelesen«, sagte Martin, beglückt, seinen Henker ablenken zu können. » Und ich habe mich auch daran gestört, dass er die genauen Standorte nicht genannt hat…«
» Er hat sie selbst nie gekannt. Deshalb hat er sie nicht genannt. Keiner der Yeziden-Scheichs, mit denen Seabrook in den zwanziger Jahren sprach, hätte sie ihm verraten. Er musste sich mit der Annahme zufriedengeben, dass jemand, der sehr gut vorbereitet war, sie in urfernen Zeiten über den ganzen Kontinent hin verteilt hat, und dass wir Yeziden sie hin und wieder aufsuchen, um zu kontrollieren, ob sie noch funktionieren.«
» Und das hier ist einer davon?«
» So ist es«, bekräftigte der Armenier. » Meine Familie sah sich gezwungen, ihn zu Seabrooks Zeiten wegen dessen Schriften zu verstecken. Durch sein Buch wurde unser Volk stigmatisiert, weil es uns mit dem Teufel in Verbindung bringt und behauptet,
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