Die Rache der Engel
abzuschneiden und Basen einzurichten, von denen aus wir angreifen konnten. Aber ich will Sie nicht mit diesen alten Geschichten langweilen, Julia…«
» Das tun Sie nicht. Bitte, erzählen Sie mir mehr darüber«, bat ich.
Ellen atmete tief durch.
» Also gut. Wir begannen damit, auf den Atollen im Südpazifik Militärbasen einzurichten. Stellen Sie sich vor, was für einen Eindruck das auf die Eingeborenen gemacht hat. Plötzlich besetzten tausende Männer, die aus dem Nichts kamen und mit Feuerstöcken und Metallvögeln ausgerüstet waren, die Wälder neben ihren Dörfern, rodeten sie und errichteten dort ihre Militäreinrichtungen. In ihrer Naivität hielten sie uns für Götter mit einer unendlichen Macht über die Natur.«
» Aber wie kam es zu dem Namen Cargo-Kult?«
» Als die Ureinwohner sahen, wie diese Götter immer mehr Container vom Himmel fallen ließen, auf denen ›cargo‹ stand, dachten sie, wir hätten die Pforten des Paradieses geöffnet, um unsere Reichtümer mit ihnen zu teilen. Tatsächlich haben sich daraus mehrere Religionen entwickelt, die noch heute existieren.«
» Wirklich?«
» Ja, das stimmt. Dabei ist das alles nur das Ergebnis des Kontaktes mit einer ›höheren Technologie‹, die die Menschen dort für Magie hielten. Sie merken, worauf ich hinauswill, oder?«
» Ich sehe nur, dass Ihnen eine materialistische Sicht der Dinge lieber ist als eine religiöse.«
» Selbstredend. Sie können davon ausgehen, dass uns diese Sicht auch von hier wegbringen wird. Und nicht die Engel.«
» Was wollen Sie damit sagen?«
» Wir halten uns nun schon seit einigen Stunden am Hallaç-Krater auf, Julia. Inzwischen haben unsere Satelliten bestimmt längst die Position von Dees Reliquien geortet. Ich denke, wir werden nicht mehr lange allein sein.«
90
Der Abend war in Santiago de Compostela, also fast 6000 Kilometer westlich vom Hallaç-Krater, noch nicht angebrochen, als Inspektor Antonio Figueiras die Gewissheit überkam, dass man ihn betrogen hatte. Der Ami, der ihm Informationen über die Mörder seiner Männer zugesagt hatte, hatte sich in Luft aufgelöst. In seiner Naivität hatte Figueiras ihm geglaubt, als dieser sagte, er werde den Spion, der die Schießerei in der Kathedrale begonnen hatte, mitnehmen, um seine Ermittlungen abzuschließen. Und auch dieser Tom Jenkins mit seinen beeindruckenden Empfehlungsschreiben, seinem teuren Anzug und seiner Aftershave-Wolke hatte ihm geschworen, dass weder sie noch Julia Álvarez ohne vorherige Rücksprache Spanien verlassen würden.
Angesichts dieser Tatsachen fühlte er sich schlichtweg übergangen.
Die staatliche Polizei am Flughafen von Lavacolla hatte ihn telefonisch darüber in Kenntnis gesetzt, dass seine Amerikaner an Bord eines funkelnagelneuen Learjet 45 gegangen waren– das Flugzeug, mit dem Nicholas Allen in Santiago gelandet war– und nicht einmal eine Stunde nach ihrem vollmundigen Versprechen das Land verlassen hatten. Man hatte ihnen eine Sondererlaubnis für die Flugroute erteilt, mit Zwischenstopp in Istanbul, sowie die erforderlichen Genehmigungen, um bis zum Flughafen von Kars im Nordosten der Türkei weiterfliegen zu können, und das spanische Verteidigungsministerium stellte eine Tankfüllung.
Als Figueiras all das erfuhr, war es längst zu spät. Wenn die Information seitens der Flughafenbehörden stimmte, waren Jenkins und Allen bereits seit mindestens drei Stunden zu ihrem Ziel unterwegs. Und in der gesamten Zeit hatte er nicht einmal eine SMS von ihnen erhalten. Nichts!
Das war also sein Stand der Dinge: Sein Hauptzeuge hatte sich nach einem kurzen Aufenthalt in Noia in Luft aufgelöst. Ebenso wie dessen amerikanische Verstärkung. Und die Nachrichten, die aus diesem Ort an der Costa da Morte mit nicht einmal 15 000 Einwohnern durchsickerten, konnten nicht schlechter sein. Sie bestätigten, dass der Helikopter sehr früh außerhalb des Ortes gelandet war und dort ein weiteres Blutbad angerichtet hatte.
In Noia gab es kein anderes Thema. Die Bewohner hatten einer Feldschlacht gegen amerikanische Soldaten beigewohnt, die der Gerichtsmedizin sechs Neuzugänge bescherte und zu beträchtlichen Schäden an den historischen Denkmälern geführt hatte.
Da er niemanden vernehmen konnte, beschloss Figueiras dorthin zurückzukehren, wo sein Albtraum begonnen hatte. Ihm kam der Gedanke, dass er, wenn er eine gewisse Vertrauensbasis zu dem Dekan der Kathedrale schaffen konnte, vielleicht Details erfuhr, die ihn
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