Die Rache der Engel
war, dass er mit gedämpfter Stimme sprach. Mit einer fast künstlichen Stimme.
Als es mir endlich gelang, ihn zu fokussieren, stellte ich fest, dass er einen weißen Helm trug: Er saß mir gegenüber und gestikulierte wild an seinen Ohren herum. Ich fühlte mich hilflos, verstand aber schließlich seine Absicht. Er wollte, dass ich das Gleiche tat. Ich dachte, man habe mir irgendwelche Drogen verabreicht, unter deren Wirkung ich immer noch stand. Aber dann stellte ich zu meiner Überraschung fest, dass mir jemand eine Art Kopfhörer aufgesetzt hatte, der mit einer kleinen Antenne ausgestattet war. Neugierig nahm ich ihn ab, um ihn näher zu betrachten, doch sogleich vernahm ich ein ohrenbetäubendes Dröhnen.
» Können Sie mich hören?«
Der Mann versuchte mit seiner Stimme das Getöse zu übertönen, wartete aber nicht einmal meine Antwort ab.
» Es ist alles in Ordnung, Mrs Faber. Sie befinden sich an Bord eines Hubschraubers. Sie müssen keine Angst haben. Für Ihre Wiederbelebung haben wir Ihnen eine geringe Dosis Lidocain verabreicht. Ihr Schwindelgefühl wird bald vorüber sein. Setzen Sie jetzt die Kopfhörer wieder auf und ich werde Ihnen alles Weitere erklären.«
» Ein Hubschrauber? Lidocain?… Wiederbelebung?«
Der Mann nickte, während ich mich wie ein Trottel umsah und mich davon überzeugen konnte, dass er nicht gelogen hatte.
Mein Kopf drohte zu zerplatzen. Was zum Teufel hatte ich an Bord eines Hubschraubers verloren? Und wer war dieser Mann?
Meine Kopfhörer gaben mehrere Knacklaute von sich, dann erklang klar und deutlich die Stimme meines Gesprächspartners.
» Herzlich willkommen an Bord, Mrs Faber«, sagte er in einem Englisch mit einem seltsamen Akzent.
» Wo… Wo bin ich?«
Ich versuchte mich aufzurichten, aber die Sicherheitsgurte hielten mich fest.
» Sparen Sie sich die Mühe, Mrs Faber. Sie müssen sich ausruhen. Wir sind Freunde. Wir haben Ihnen gerade das Leben gerettet.«
Ich erkannte den Mann zwar nicht, aber ich bemerkte, dass er mich mit einer gewissen Vertrautheit ansprach. In der Kathedrale hatte Nicholas Allen mich ähnlich begrüßt, aber er war es nicht. Ich hielt vergeblich nach dem Amerikaner Ausschau, erreichte aber nur, dass der Mann mit dem großen Schnauzbart vor mir amüsiert grinste. Sein Auftreten verströmte unverhohlenen Stolz, aber so sehr ich mich auch anstrengte, mir fiel nicht ein, wo ich ihn schon einmal gesehen hatte. Seine beiden jungen Begleiter halfen mir auch nicht, meine Zweifel auszuräumen. Sie waren mit Gewehren mit Zielfernrohren bewaffnet und beäugten mich mit der Neugierde von Insektenkundlern. Als ich sie näher betrachtete, machte ich eine beunruhigende Entdeckung: Der junge Mann in der Nähe des Cockpits war der Eindringling aus der Kathedrale mit dem Schlangentattoo auf der Wange!
Als er sich wiedererkannt fühlte, sah er mich schweigend an.
» Hören Sie!« Ich wand mich auf meinem Sitz. » Wenn Sie…!«
» Beruhigen Sie sich, Mrs Faber. Ich bitte Sie!«
» Aber ich habe diesen Jungen in der Kathedrale gesehen!«
Der bärtige Mann sah mich belustigt an.
» Wer sind Sie überhaupt?«, schrie ich ihn an. » Was wollen Sie von mir?«
» Oh.« Mein Gegenüber setzte eine theatralische Miene auf. » Haben Sie es schon vergessen, Mrs Faber?«
» Kenne ich Sie etwa?«
Wenn er die Absicht hatte, mich noch mehr zu verwirren als ohnehin schon, so war ihm das gelungen.
» Es bricht mir das Herz.« Der Mann lächelte wieder. » Ich bin Artemi Dujok. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie froh ich bin, Sie rechtzeitig gefunden zu haben!«
» Artemi Dujok?«
Zum Teufel.
Seit der ersten und letzten Begegnung mit diesem Mann waren fünf Jahre vergangen, doch mein erstarrtes Gehirn hatte keine Mühe, ihn einzuordnen. Er war mir doch in dem Todestraum, aus dem ich gerade erwacht war, über den Weg gelaufen!
Gleichermaßen überrascht wie neugierig sah ich voller Groll zu ihm. Ja, das war er.
» Mr Artemi Dujok…«, wiederholte ich. » Ich erinnere mich an Sie. In der der Tat. Aber…«
» Das freut mich sehr. Ich war bei Ihrer Hochzeit in Wiltshire zu Gast. Ich bin ein Freund von Martin.«
» Martin! Mein Gott!« Meine Pupillen weiteten sich vor Schreck. » Wissen Sie, was…?«
Dujok streckte seinen Arm aus, um mir ein Papiertaschentuch zu geben.
» Ich weiß alles, Mrs Faber. Versuchen Sie bitte, Ruhe zu bewahren. Ich weiß, was Sie gerade durchgemacht haben, Sie waren länger als zwanzig Minuten im Koma. Ein Opfer von
Weitere Kostenlose Bücher