Die Rache der Horden
stoppte sie.
»Alles aussteigen!«, rief Chuck, stand auf und stieß sich den Kopf an der niedrigen Decke. Mit einem verlegenen Fluch stieg er aus und reichte Olivia eine helfende Hand. Sie nahm sie und hielt sie noch mehrere Sekunden lang fest, nachdem sie ausgestiegen war.
Ein Nebengleis führte von der Weiche aus in den Wald und umging dabei Bäume, die zu groß waren, um sie zu fallen. Die Lok und die fünf Wagen würden ihren Weg auf dem Hauptgleis fortsetzen, nachdem die Fahrgäste ausgestiegen waren.
»Keine Lok darf heute direkt dort vorfahren, wohin wir gehen – zu gefährlich aufgrund der Funken«, erklärte Chuck.
»Aber sie fahrt doch direkt bei der Pulverfabrik vor; warum dann nicht beim Schuppen?«, fragte Julius und deutete die Strecke entlang.
»Die Pulverfabrik ist sicher. Wir wollen heute nur besonders vorsichtig sein, weil der Wind dort, wo die Gleise direkt in den Schuppen führen, aufgefrischt hat«, antwortete Chuck, der überrascht registrierte, dass Julius über die übrigen Geheimnisse hier oben im Bilde war.
Nach dem Luftangriff der Merki im vergangenen Sommer hatte Mina zu bedenken gegeben, dass ein Neubau irgendwo in Rus bedeutet hätte, förmlich zu neuen Angriffen auf ihre wichtigste und verletzlichste Industrie einzuladen. Noch eine weitere Überlegung sprach für den neuen Standort: die Schwefel- und, noch wichtiger, die Salpetervorkommen in Roum lagen in unberührter Landschaft. Und so baute man die Fabrik in aller Stille hier draußen, während man gleichzeitig bei Nowrod eine Scheinfabrik errichtete, die auch prompt mehrfach angegriffen wurde.
Chuck ging den anderen voraus an der Nebenstrecke entlang. Olivia löste ihre Hand aus seinem Griff, ging aber weiter neben ihm her. Die Strecke wendete nach knapp hundert Metern durch den dichten Wald scharf nach links, und hinter der Biegung blieb Chuck abrupt stehen, während ein Lächeln von geradezu kindlicher Begeisterung seine Züge erhellte.
Vor ihm stand der Ballonschuppen auf der Waldlichtung, gebaut aus grob zurechtgeschnittenen Planken, gut zwölf Meter hoch und über fünfzig Meter lang. Dahinter ragten ein zweiter und ein dritter Schuppen auf, und am hinteren Rand eines Feldes aus Baumstümpfen war ein vierter im Bau. Im Zentrum des ersten Schuppens schwebte Chucks neueste Waffe, als wäre sie bereit, sich jederzeit in die Lüfte zu erheben.
Jack blickte Chuck an und lächelte.
»Vor zwei Tagen sind wir damit fertig geworden, ihn aufzublasen. Bislang scheint es, als hätte er keine größeren Lecks. Jetzt warten wir nur noch auf die Montage des Motors, und wir sind startbereit.«
»Und der Motor?«
»Wir haben nur auf Sie gewartet, um den Probelauf zu riskieren.«
Chuck nickte geistesabwesend und ging näher heran, hatte alles andere vergessen. Die Hangartore standen weit offen, und auch die Abzugsklappen im Dach waren geöffnet, damit mögliche Schwaden des gefährlich explosiven Gases entweichen konnten.
»Und das Ding wird fliegen?«, fragte Olivia.
»Natürlich! Falls diese verdammten Ungeheuer dazu in der Lage sind, können wir es erst recht. Wir brauchen nur ein wenig Zeit und jagen sie dann aus der Luft.«
Als schritte er auf einen Altar zu, so betrat Chuck den Plankenhangar, und der lange wurstförmige Ballon schwebte dort über ihm.
»Irgendwelche Probleme beim Aufpumpen?«
»Eine der hölzernen Stützstreben am Heck des Achterbeutels hat sich verschoben und die Plane durchstoßen, aber wir haben das repariert«, antwortete Jack.
Chuck nickte. Er hatte sich dafür ausgesprochen, den Aerodampfer – wie er ihn bereits nannte – nicht nur als losen Gasbeutel zu konstruieren, sondern ihm eine starre Innenstruktur zu geben, über die man eine doppelte Schicht Seide zog. Den Merkiballons fehlte es an einem solchen Konstruktionsmerkmal, und er hatte schon bemerkt, dass sie eine Tendenz zeigten, im Flug zu wackeln und sich zu verformen.
Das Gerüst bestand aus dünnen Streifen bambusähnlichen Holzes, zu einem langen Korb zusammengebunden; dadurch brauchte der Ballon aber auch viel mehr Auftrieb. Immerhin wirkte er so viel massiver. Chuck ging durch den Schuppen, blieb unter der Mitte des Ballons stehen und blickte nach oben in ein rundes Loch. Das Balloninnere war dunkel, aber er konnte sich vorstellen, wie das gewaltige Gerüst über ihm aufragte. Jetzt musste nur noch der Motor unter dem Loch montiert werden. Seine Abwärme stieg durch das Loch auf, und so lieferte er neben der Lenkung gleich auch noch
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