Die Rache der Jagerin
willst du?«
»Das kann warten.«
»Und worauf, bitte schön?«
»Bis nach der Dusche. Nehmt’s mir nicht übel, aber ihr stinkt.«
In der Tat. Da ich den Geruch jedoch schon seit Stunden in der Nase hatte, hatte ich irgendwann nicht mehr darauf geachtet. Koboldblut roch nach Meerwasser mit einer Spur des süßlichen Dufts von fauligem Fleisch, und im Innern der Wohnung war der Gestank ziemlich penetrant.
»Wir haben Zeit«, erklärte Phin. »Wascht euch, danach reden wir.«
Ich warf einen Blick auf die geschlossene Tür zum Badezimmer, und mir drehte sich der Magen um. »Leichter gesagt, als getan.«
»Warum das?«
»Weil sich mein Wirtskörper im Bad das Leben genommen hat.«
Erst vor zwei Tagen hatte ich zögernd vor der Tür zu der Kammer gestanden, in der ich gefoltert und getötet worden war. Jetzt zögerte ich vor einer weiteren Tür. Dunkle Vorahnungen beschlichen mich, mir wurde flau im Magen. Zwischen den Brüsten und auf der Stirn brach mir der Schweiß aus. Meine Hände krallten sich in die sauberen Klamotten, die ich aus Chalices Schrank genommen hatte, und ich hatte Angst, sie würden zittern, wenn ich losließ.
Eine solch unscheinbare Tür, elfenbeinfarben gestrichen und aus jenem hohlen Holzimitat, das sie bei jedem leichten Windstoß laut zuknallen ließ. Kein roter oder rosafarbener Fleck und keine Schramme verunstalteten ihre glatte und saubere Oberfläche. Nichts deutete auf die Schreckenstat hin, die sich dahinter ereignet hatte. Mein altes Ich befahl mir, einfach einzutreten und mir nicht in die Hosen zu machen. Doch das Wissen, dass Chalice vor gerade einmal vier Tagen hier hineingegangen war, sich ein heißes Bad eingelassen und sich die Pulsadern aufgeschnitten hatte, ließ mich weiterhin davor verharren.
Mach dich nicht lächerlich, Mädchen. Gib dir einen Tritt in deinen dämlichen Hintern und wasch dich.
Mit fester Hand umschloss ich den Türknauf und drehte mein Handgelenk. Das Schloss quietschte leise. Langsam drückte ich gegen die Tür, und warme, muffige Luft kam mir entgegen, die nach der Zitrussäure von Reinigungsmitteln roch. Links von der Tür tasteten meine Finger nach den Schaltern und legten die ersten beiden um. Wie aus alter Gewohnheit.
In hellem Licht erstrahlte das kleine Badezimmer, das so sauber wie beim letzten Mal war. Im Gegensatz zu damals hing jetzt ein blaues Handtuch an einem Haken. Alex musste es an dem Tag da hingehängt haben, als ich ihn aus seiner wohlbehüteten kleinen Welt gezerrt hatte …
Nein, darüber durfte ich nicht nachdenken.
Ich legte meine Kleider auf den Toilettendeckel, nahm mir ein Handtuch aus dem kleinen Kästchen hinter der Tür und zog mich aus. Das Messer samt Scheide legte ich auf den Stapel mit sauberer Kleidung, während ich die ruinierten Sachen – die nicht einmal mir gehörten, sondern der Freundin des Werkaters – sogleich in den Müll warf. Im letzten Moment zog ich das Handy, das Kismet mir gegeben hatte, aus der Hosentasche und verstaute es in einem Korb hinter der Toilette zwischen einigen frischen Handtüchern und einem Vorrat Klopapierrollen.
Ich griff nach dem Wasserhahn. Als meine Finger sich um den eckigen Plastikknauf schlossen, erfüllte mich eine recht bestimmte Traurigkeit, die stärker wurde, als heißes Wasser aus dem Duschkopf spritzte. In der warmen feuchten Luft roch das getrocknete Blut auf meiner Haut und meinen Kleidern noch intensiver. Trauer schnürte mir die Kehle zu, und zwischen meinem linken Ellbogen und dem Handgelenk pochten Phantomschmerzen.
Um den Abfluss bildete sich eine Pfütze, und da fiel mir auf, dass ich ihn zugestöpselt hatte. Mir wurde speiübel. Schnell bückte ich mich und zog den Stöpsel heraus, damit das Wasser ablaufen konnte.
Abscheu verdrängte die quälende Trauer und erstickte alle anderen Gefühle. Du bist nicht sie. Das ist alles nur in deinem Kopf, Evy! Stell dich verflucht noch mal unter diese Dusche!
Ich klammerte mich an den Gedanken an die verachtenswerte Tat – sie hat aufgegeben, verdammt! –, regulierte die Wassertemperatur, damit ich mich nicht verbrühte, und stieg in die Wanne. Rasch rieb ich mich sauber, spülte mir das Blut und den Schmutz aus den Haaren und von der Haut. Im Moment war gar nicht daran zu denken, die Dusche zu genießen.
Während ich mich wusch, untersuchte ich meine Verletzungen. Die Schnitte am Bauch hatten sich in dicke rote Narben verwandelt, die bald verblassen würden und morgen bereits verschwunden wären. Von der
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