Die Rache der Jagerin
Foley High School hielt man nichts von Schulglocken. Stattdessen hallte bei Stundenschluss ein Geräusch wie Handygebimmel durch den Raum und verkündete, dass es Zeit war, sich mit dem Gedränge auf den Gängen zum nächsten Klassenraum treiben zu lassen.
Der Stift in meiner Hand war auf ein leeres Blatt gerichtet, und ich wandte langsam den Kopf nach vorn. Die plötzliche Stille im Raum bedeutete, dass alle Augen auf mich gerichtet waren.
Wie ich das hasste!
Bletchley war rundgesichtig, weißhaarig und mollig. Die anderen Lehrer dachten gewiss, sie wäre eine freundliche, harmlose Kollegin. Sie hatte kleine dunkelbraune Augen hinter einer Metallrandbrille und trug braunroten Lippenstift, der in die senkrechten Falten über ihren Lippen ausfranste. Hatte sie nicht gerade den Zeigestock wie einen Prügelstab in der Hand, zupfte sie immerfort am Saum ihrer ausgebeulten Strickpullis. Ihre Garderobe wechselte zwischen drei Pullovern: einem roten, einem blauen mit eingestrickten Rosen und einem scheußlichen gelben mit Peter-Pan-Kragen. Heute war es der gelbe.
Sie sah wie ein Wiesel aus, das sein nächstes Huhn stehlen wollte. Hinter ihrem Rücken wurde sie von den Schülern »Mad Dog« genannt, und sie konnte Schwäche riechen.
Es gab zwei Sorten von Lehrern, die sanften und die harten. Die sanften Lehrer wollten entweder ehrlich helfen, oder sie waren endgültig eingeknickt. Gewöhnlich waren sie nervös und hatten Angst vor Kindern, ganz besonders vor Highschool-Jungen. Die harten Lehrer waren ein ganz anderes Kaliber, eher wie Haie: Fressmaschinen mit einem hoch entwickelten Gespür für Blut.
»Haben wir zugehört, Miss Anderson?« An Bletchleys Tonfall konnte man Messer wetzen. Ein Tuscheln ging durch den Raum. Ja, Bletch hatte sich ihre Zielscheibe für die nächste halbe Stunde ausgesucht, und die war ich.
Es ging doch nichts darüber, die Neue zu sein!
Am besten hätte ich den Mund gehalten. Harte Lehrer sind wie Typen, die sich auf dem Schulhof prügeln: Reagiert man nicht auf sie, denken sie schnell, man sei unterbelichtet, und lassen einen in Ruhe.
Der halbasiatische Gothic vor mir verlagerte sein Gewicht auf dem Stuhl. Er war groß, dünn und hatte dichtes, welliges schwarzes Haar. Als er sich vorbeugte, konnte ich ein Stück Nacken über dem Kragen seines schwarzen Mantels sehen, den er nie auszog. Die Kragenspitzen standen nach oben, der Rest war umgeklappt. Ich blickte auf seinen Nacken unter den dunklen Locken.
Ach, was soll’s! »Fort Sunter«, sagte ich.
Stille. Bletchley kniff die Augen hinter den Brillengläsern zusammen, und ich hatte sowieso schon die Klappe aufgerissen. Also konnte ich genauso gut weitermachen.
»Sie haben gefragt, wo die ersten Schüsse im Bürgerkrieg abgegeben wurden. Das war in Fort Sunter, am zwölften und dreizehnten April 1861.« Ich sprach betont gelangweilt und monoton, worauf das Flüstern zu jenem stummen Lachen wurde, das harte Lehrer ganz besonders hassen.
Wer hätte gedacht, dass amerikanische Geschichte so witzig sein konnte?
Bletch musterte mich einen Moment lang. Noch war ich für sie eine unbekannte Größe, also kam ich vielleicht davon. Der Gothic vor mir bewegte sich wieder, so dass sein Stuhl knarrte.
Offenbar beschloss die Lehrerin, sich jemand anders vorzuknöpfen, allerdings versprach sie mir mit ihrem Blick, dass ich später Ärger bekommen würde. »Danke, Miss Anderson.« Ihr Schweigen zog sich hin, während sie gedankenversunken mit dem Zeigestock auf das Pult tippte. Ihre Fesseln quollen oben aus den derben Schnürschuhen, wogegen auch die dicken dunklen Nylonstrumpfhosen nichts ausrichten konnten, die sie unter ihrem langen Jeansrock trug. Sie sahen aus wie Stützstrümpfe, die Diabetiker anziehen müssen.
Gran hatte solche angehabt, wenn ihr die Knöchel weh taten. Mich fröstelte, als ich mich auf dem harten Plastikstuhl zurücklehnte. Aus dem Fenster zu sehen, wagte ich nicht mehr. Bletch könnte sich jederzeit wieder auf mich einschießen. Ich hatte Dad nichts von der Eule auf meinem Fenstersims erzählt. War er noch zu Hause?
Das mulmige Gefühl in meinem Bauch nahm zu. Ich starrte auf den Jungennacken vor mir, aber er bewegte sich schon wieder und zurrte unruhig an seinen Kragenenden.
Sitz still!, wollte ich flüstern. Sie sucht sich ihr nächstes Opfer aus. Wäre ich ganz bei der Sache gewesen, statt mich um Dad zu sorgen, hätte ich vielleicht etwas getan, zum Beispiel ihm auf den Hinterkopf geschlagen, um ihn zu retten.
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