Die Rache der Jagerin
Kriegerin gewesen. Ihre Neugier den Menschen gegenüber hatte später dazu geführt, dass wir häufiger miteinander zu tun bekommen hatten.
Unsere Treffen waren sorgfältig durchdacht gewesen: Sie hatte mit mir genauso oft über interne Clanangelegenheiten gesprochen, wie ich ihr Triadengeheimnisse anvertraut hatte – nämlich niemals. Nur sehr selten hatte ich von mir selbst erzählt, auch wenn sie in diesem Punkt weniger zurückhaltend gewesen war. In erster Linie hatten wir uns allerdings über andere Völker ausgetauscht. Daher hatte ich nach zwei Jahren ungefähr genauso viel über sie gewusst wie über den Mann, der jetzt neben mir saß – und den ich gerade einmal acht Stunden kannte.
Einerseits schämte ich mich ein wenig, dass mir das alles damals irgendwie scheißegal gewesen war. Andererseits war ich stolz darauf, es nun zu erfahren. »Und was sind Aurora und Joseph?«
»Die beiden sind Coni.« Er klang traurig, senkte den Kopf und schaute weg. »Was für eine Ironie, dass die Coni die Ersten gewesen sind, die unter den Menschen gelebt haben. Und nun sind sie auch die Letzten.«
Ich schob meine Hand über die Armlehne. Kurz zögerte ich, doch dann strich ich federleicht über seine Schulter. Die straffen Muskeln wirkten merkwürdig hohl unter meinen Fingern. Als wären sie nicht stählern, wie ich erwartet hatte, sondern aus Baumwolle. Ruckartig drehte er den Kopf zu mir, und unsere Blicke trafen sich. In den blauen Tiefen seiner Augen erkannte ich seine widerstreitenden Gefühle, und darunter verbarg sich das Chaos.
»Bemitleide uns nicht«, sagte er.
»Das mache ich gar nicht. Aber ich glaube, ich verstehe es.«
Er öffnete den Mund.
Diesen Moment wählte mein Hintern, um ein Klingeln von sich zu geben. Ich lehnte mich zurück, zog das Handy aus der Gesäßtasche und las das Display. Es war Kismet. Ich hob das Telefon ans Ohr und sagte: »Stone.«
»Fahr zu deiner Wohnung zurück«, erklang Kismets Stimme. »Felix hat angerufen. Du hast ein Problem.«
8. Kapitel
12:40 Uhr
W ährend Phin uns zurück nach Parkside East fuhr, verlief das restliche Gespräch mit Kismet lautstark und in knappen Sätzen.
»Was ist passiert?«, fragte ich.
»Niemand wurde verletzt«, antwortete sie.
»Aber?«
»Da ist jemand, der behauptet, Alex Forresters Vater zu sein.«
»Scheiße.«
»Die Kauzlinge haben sich als Freunde von dir ausgegeben, aber Chalice muss unbedingt mit diesem Typen sprechen.«
»Ich habe Alex’ Vater nie gesehen.«
»Tja, Alex können wir ihm nicht beschaffen. Also musst du einspringen und seinen Vater bespaßen.«
»Was soll ich ihm denn sagen? Dass sein Sohn von einem blutsaugenden Halbvampir gebissen worden ist und ich ihm dann in den Kopf geschossen habe?«
»Für den Augenblick reicht erst mal eine abgewandelte Version der Wahrheit.«
»Das soll heißen?«
»Dass du ihn vorgestern zum letzten Mal gesehen hast.«
»Na prima.«
»Kümmere dich einfach drum.«
»Na gut. Wie geht es Wyatt?«
»Der erholt sich bestens, der verdammte Glückspilz. Der Chirurg hat den Messersplitter nur zwei Zentimeter von der Wirbelsäule entfernt gefunden, aber er konnte ihn rausholen und Wyatt wieder zunähen. Keine ernsthaften Verletzungen, keine Komplikationen, keine langwierige Genesung. In ein, zwei Tagen sollte Wyatt wieder auf den Beinen sein.«
Ich atmete erleichtert aus. Von meiner Brust hob sich eine Last, deren Gewicht ich erst wahrnahm, als sie von mir genommen wurde. Sich um jemand anderen Sorgen zu machen war ätzend.
»Hast du irgendwelche Neuigkeiten?«, fragte Kismet.
»Ein paar Hinweise.« Fast hätte ich ihr von dem Treffen in Park Place erzählt, aber stattdessen schilderte ich ihr die Schweinerei, die wir in Mike’s Gym hinterlassen hatten. »Sobald sich etwas Neues ergibt, lasse ich es dich wissen.«
»Tu das.«
Ich steckte das Handy zurück in die Gesäßtasche und wollte Phin die wichtigsten Ergebnisse des Telefonats mitteilen. Als er gerade auf die Wharton Street bog, die zur Brücke führte, sagte er jedoch: »Ich bin froh, dass Wyatt in Ordnung ist.«
Wie zum …? »Lass mich raten. Die Coni verfügen über ein ausgezeichnetes Gehör«, entgegnete ich.
»Nun, ja, aber dein Handy ist auch nicht gerade leise.« Von der Seite lächelte er mich an, so dass seine strahlend weißen Zähne kurz aufblitzten. »Willst du mich in das Theaterstück einweihen, bevor wir dort ankommen?«
»Sobald ich das Stück kenne, kläre ich dich auf.«
Ich schloss die Augen und
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