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Die Rache der Jagerin

Die Rache der Jagerin

Titel: Die Rache der Jagerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelly Medling
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»Das weißt du nicht?«
    »Nein. Seit vorgestern habe ich ihn nicht mehr gesehen.«
    »Und das findest du nicht seltsam?«
    Sein verwirrter Gesichtsausdruck zeigte ziemlich deutlich, dass zumindest er es sehr seltsam fand. Um den Eindruck zu vermitteln, dass ich mich hier zu Hause fühlte, schlenderte ich in die Küche hinüber. Das gesamte Geschirr, das ich heute Morgen bei der Zubereitung des ausgefallenen Frühstücks benutzt hatte, war mittlerweile gespült und weggeräumt worden. Ich kramte im Kühlschrank und holte eine Flasche Wasser heraus.
    Als die Kühlschranktür zufiel, sah ich Alex’ Vater auf der anderen Seite der Küchentheke stehen. Er funkelte mich böse an. Vor Schreck fuhr ich zusammen. Er war flink.
    »Also?«, drängte er.
    »Ja, das ist schon seltsam«, antwortete ich und ging um den Tresen herum. »Sehen Sie, Mr. Forrester, ich …«
    »Um Himmels willen, sag Leo zu mir.«
    Anscheinend hatte er mich schon früher dazu aufgefordert. »Leo, ich habe im Krankenhaus angerufen und habe es sogar bei seinen alten Klassenkameraden probiert. Ich wünschte, ich wüsste, wo er ist, aber ich weiß es nicht.«
    »Tja, das ist ja einfach großartig.« Leo trat drei Schritte näher. Seine mächtige Statur war beeindruckend: Er war breit, ohne fett zu sein. Beinahe vergaß ich dabei, dass er einen halben Kopf kleiner war als ich. »Ich habe achtzehn Stunden lang im Auto gesessen, weil er mich angerufen hat und meinte, er bräuchte mich hier. Nun, da bin ich. Und wenn er nicht da ist, gibt es ein Donnerwetter.«
    Alex hatte ihn angerufen und ihn gebeten, herzukommen. Das musste an dem Tag gewesen sein, als Chalice sich umgebracht hatte. Mist, Mist, Mist. Es hörte sich nicht so an, als hätten Alex und sein Vater sich sehr nahegestanden – sonst hätte Alex ihm die Geschichte gleich am Telefon erzählt. Stattdessen hatte er ihn nur um Hilfe gebeten. Leo hatte keinen Schimmer, weshalb er ihn herbeordert hatte.
    »Es tut mir leid«, war alles, was mir einfiel.
    »Weißt du wenigstens, warum er mich angerufen hat?«, fragte Leo. »Er hat’s mir nicht gesagt, aber es hat sich angehört, als wär’s was Schlimmes. Seit er zehn war, hat er mich nicht mehr Dad genannt. So wie er geklungen hat, dachte ich, dass dir vielleicht etwas zugestoßen wäre.«
    Wie wahr, wie wahr.
    »Um ehrlich zu sein, war ich in letzter Zeit etwas beschäftigt. Meine Abschlussprüfungen sind nicht so toll gelaufen, und bei der Arbeit gab’s auch Theater. Wenn Alex wegen irgendetwas schlecht drauf gewesen ist, hat er es mir jedenfalls nicht erzählt. Wahrscheinlich, weil er gesehen hat, dass ich mich selber mit allem möglichen Scheiß herumschlage, da wollte er mich nicht belästigen.«
    Ich bemerkte, wie er die Hand zur Faust ballte und wie sein Arm zuckte, und wich einen Schritt zurück. Auch wenn er auf Taillenhöhe in der Bewegung innehielt, erkannte ich die Geste: Er hatte zum Schlag ausholen wollen. Ich hatte schon Männer gesehen, die aus Wut prügelten, und welche, die es aus reiner Boshaftigkeit taten. Zu welcher Sorte er gehörte, wusste ich nicht und wollte es auch nicht herausfinden.
    »Ich glaube, du solltest gehen«, sagte ich.
    Er bebte vor Zorn und brummte wie ein gereizter Bär, den man zu früh aus dem Winterschlaf geholt hatte. »Ich gehe erst, wenn ich mit meinem Sohn gesprochen habe.«
    »Er ist verdammt noch mal nicht hier.«
    »Aber wo zum Henker ist er?«
    »Ich weiß es nicht.« Ich hatte die Stimme erhoben, um mit ihm mithalten zu können. Dabei beobachtete ich seine Hände und sein Gesicht, achtete auf jedes Anzeichen für einen möglichen Angriff.
    »Wenn du nicht so eine egoistische Ziege gewesen wärest, Chalice, und ihm besser zugehört hättest, wüsstest du vielleicht, wo er ist.«
    Jetzt wiederum bebte ich vor Wut. »Echt? Na, und wo bist du die ganze Zeit gewesen, Leo? Schließlich hat er dich schon vor vier Tagen angerufen.«
    Seine Züge verzerrten sich. Wütend verzog er den Mund, und seine Wangen färbten sich hochrot. »Wage es nicht, mir Vorwürfe zu machen.«
    »Aber du darfst mir welche machen?«
    Ich machte mich auf einen Wutausbruch oder gar einen Faustschlag gefasst, doch er verblüffte mich, indem er gegen den Tresen sackte, als wäre ihm der Wind aus den Segeln genommen. Sein Zorn verrauchte nicht, aber Erschöpfung und Sorge stimmten ihn milder.
    »Alex und ich, wir haben nur noch uns und sonst niemanden, Chalice«, sagte er. »Er ist mein Junge, und ich will nur mit ihm reden.«
    Mir

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