Die Rache der Jagerin
schien er mich zu studieren, wobei er seinen Blick unruhig über mein Gesicht wandern ließ. Welche Fragen ihm auch immer durch den Kopf gingen, welche möglichen Konsequenzen er auch durchdachte: Offenbar zog er seine eigenen Schlüsse. Und er fällte eine Entscheidung.
»Nicht alle, aber viele der Clans können das«, erklärte er endlich. »Diejenigen von uns, die beide Arten der Verwandlung draufhaben, werden als … die überlegene Art angesehen. Wir leben schon lange unter Menschen, sehr lange, und deshalb haben wir gelernt, wann es besser ist, den anderen das Kämpfen zu überlassen.«
»Glaubst du, dass Rufus deswegen den Befehl zu eurer Vernichtung bekommen hat?« Mir krampfte sich der Magen zusammen. »Wer auch immer den Befehl gegeben hat, wusste über eure Stellung innerhalb der Clans Bescheid?«
»Genau das vermute ich. Außerdem befürchte ich, dass sie auch die anderen Clans kennen, die beide Verwandlungsarten beherrschen, und dass sie es als Nächstes auf diese abgesehen haben. Wenn man von den Gremlins absieht, machen die Clans unter den Nichtmenschen in dieser Stadt die zweitgrößte Bevölkerungsgruppe aus. Wer uns schwächt, stärkt dadurch die Position eines anderen Volks.«
Ich musste das Gesagte erst einmal verdauen. Auf jeden Fall sahen die Ereignisse dieses Tages im Lichte dieser Informationen ganz anders aus. Nicht nur Phins Täuschungsmanöver, um sich meine Hilfe zu sichern, sondern auch das Verhalten meiner eigenen Leute in den letzten zehn Tagen. Hier stank etwas gewaltig, und es waren nicht die Mülleimer auf der Straße.
»Warum hast du mir das nicht früher erzählt?«, fragte ich. »Wenn du willst, dass ich Joseph und Aurora beschütze und dir helfe, muss ich alles wissen, was von Bedeutung sein könnte. Du musst anfangen, mir etwas mehr Vertrauen zu schenken.«
»So wie du mir Vertrauen schenkst?«
»Wahrscheinlich tun wir uns beide gleich schwer, jemandem zu vertrauen.«
»Du sagst, dass du mir helfen willst, und das glaube ich dir. Aber du musst einsehen, dass die Clans strikte Regeln haben, wer welche Informationen bekommen darf. Du hast gesehen, wie ich halbmenschliche Gestalt angenommen habe, und das kann ich nicht mehr rückgängig machen. Alles, um was ich bitte, ist, dass du und dein Freund das für euch behaltet.«
»Ich habe es niemandem verraten, und ich schätze, dass Wyatt bisher nicht einmal die Gelegenheit dazu gehabt hat.« Das Handy in meiner Tasche sollte jetzt endlich einmal klingeln, verdammt. Und zwar bald. »Welcher Clan ist noch in Gefahr?«
»Das kann ich dir nicht sagen.«
»Erinnerst du dich, was wir eben über Vertauen gesagt haben?«
Seine Nasenflügel bebten. »Wenn die Zusammenkunft dir das mitteilen möchte, dann soll es so sein. Ich kann mich nicht gegen ihre Wünsche stellen. Noch nicht.«
Noch nicht. Ein sicheres Indiz dafür, dass es einen Punkt gab, an dem er nachgeben würde. Der war nur noch nicht erreicht. »Na schön. Können sich alle Kauzlinge zur Hälfte verwandeln?«
»Können alle Menschen einen Handstand machen?«
Mein Vorrat an sarkastischen Erwiderungen war plötzlich aufgebraucht. »Was?«
»Alle Kauzlinge«, sagte er, und er sprach die Wörter so aus, als wären sie von der Pest befallen. Als würde er es kaum ertragen, sie in den Mund zu nehmen. »Menschen müssen alles mit einfachen Etiketten versehen, damit sie leichter verstehen, was in Wahrheit ein hochkomplexes Beziehungsgeflecht ist. Obwohl wir als Gemeinschaft lebten, haben wir uns aus zwei Arten zusammengesetzt. Die Coni sind in der Lage, sich halb zu verwandeln, die Stri dagegen nicht.«
»Coni und Stri«, wiederholte ich und ließ die fremden Worte auf mich wirken. In den letzten zwei Tagen hatte ich viel über die Namen erfahren, mit denen sich die Dregs selbst bezeichneten. Davor hatte ich mir nicht die Mühe gemacht, je danach zu fragen. Danika und ich waren – in Ermangelung eines passenderen Begriffs für unsere eigentümliche Freundschaft – Geschäftspartner gewesen. Doch das klang viel zu kalt.
Als die Triaden vor zwei Jahren eine Mordserie in der Nachtklubszene untersucht hatten, waren wir uns zum ersten Mal begegnet. Wir hatten die Spur (fälschlicherweise, wie sich später herausstellte) bis zu Danikas Vetter verfolgt. Danika hatte mich in Gestalt eines Falken angegriffen und ihren Vetter mit aller Macht verteidigt. Neben ihrem Alter hatte mich auch ihre Verbissenheit mehr in ihr sehen lassen als nur irgendeinen Dreg – sie war eine
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