Die Rache der Kinder
Hauch von Einfühlungsvermögen hätte«, hatte Kate zu Rob gesagt, »würde sie mir das nicht so unter die Nase reiben.«
»Aber sie verlangt doch gar nicht von dir, dass du reitest«, hatte Rob erwidert.
»Jaja«, hatte Kate gesagt. Natürlich war ihr klar gewesen, wie unvernünftig sie war, doch bei Delia hatten sich ihr von Anfang an die Nackenhaare gesträubt.
Aber wie auch immer … In jedem Fall würde sie diese äußerst private und delikate Angelegenheit niemals mit Delia besprechen.
»Es gefällt mir nicht, vor Delia etwas geheim zu halten«, hatte Michael gesagt.
»Das kann ich verstehen«, musste Kate ihm beipflichten. »Nur dass ich dir dann nicht werde sagen können, was mit mir los ist, und ich könnte deine Unterstützung wirklich brauchen, Dad.«
»Emotionale Erpressung«, erwiderte ihr Vater. »Das ist unter deiner Würde.«
»Manchmal geht es einfach nicht anders«, hatte Kate darauf geantwortet.
»Rob muss über deine Entscheidung sehr erleichtert gewesen sein«, sagte Michael, nachdem sie es ihnen erzählt hatte.
Für einen Apriltag war es ungewöhnlich warm, und sie hatten sich im Garten auf den Teakholzmöbeln niedergelassen, die Kate und Rob vergangenen Sommer gekauft hatten. Die Möbel standen unter einem Apfelbaum auf dem Rasen, den Rob in der Saison alle vierzehn Tage zu mähen versuchte.
»Er weiß es nicht«, sagte Kate.
»Wann wirst du es ihm sagen?«, fragte Bel.
»Ich bin nicht sicher, ob ich es ihm überhaupt sagen werde«, antwortete Kate.
»Das meinst du doch nicht ernst!« Ihr Vater war entsetzt.
»Unter den gegebenen Umständen«, sagte Bel, »kann ich ihr das nicht zum Vorwurf machen.«
»Das ist so untypisch für ihn«, bemerkte Michael.
»Willst du damit sagen, das alles wäre Kates Schuld?«, wollte Bel wissen.
»Natürlich nicht«, sagte Michael. »Aber Rob denkt vielleicht schon, das Kind sei tot, und trauert. Es ist auch sein Kind, vergiss das nicht.« Er sah Kates blasses, müdes Gesicht und wollte aufhören, machte aber weiter. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass du ihn bestrafen willst, indem du ihm die Wahrheit vorenthältst.«
Kate hatte Rob angerufen, kaum dass ihre Eltern gegangen waren und bevor sie ihre Meinung hatten ändern können.
Die Erleichterung war ihm deutlich anzuhören.
»Wie geht es Emmie?«, fragte Kate.
»Sehr gut.« Rob hielt kurz inne. »Kate, ich will nach Hause kommen.«
Plötzlich war Kate nicht mehr in der Lage, etwas darauf zu erwidern.
»Natürlich nur, wenn es dir recht ist«, sagte Rob.
Kate hörte Unsicherheit, aber auch Verlangen in seiner Stimme.
Doch Rob hatte sie emotional genau in dem Augenblick imStich gelassen, als sie ihn am meisten brauchte. Sie erinnerte sich an die Verstocktheit und die Härte in seinen Augen. Sie erinnerte sich daran, wie er seine Sachen gepackt hatte. Wie er gegangen war.
»Ich bin nicht sicher«, sagte sie zu ihrem eigenen Erstaunen.
»Ich verstehe«, erwiderte Rob.
Nun lag unendliche Enttäuschung in seiner Stimme.
»Nein«, erklärte Kate. »Ich glaube, das verstehst du nicht .«
Die Fehlgeburt vierzehn Tage später war schnell und schmerzhaft verlaufen, und Kate hatte diesen Albtraum alleine durchgestanden; sie hatte dem Krankenhaus untersagt, jemanden anzurufen. Hinterher, nachdem sie es ihren Eltern erzählt hatte, die gemeinsam ins Royal Berkshire gekommen waren, hatte sie ihnen das Versprechen abverlangt, Rob nicht anzurufen.
»Aber du musst es ihm sagen«, verlangte Michael.
»Damit er sich verpflichtet fühlt, mich zu besuchen?«
In ihrem Krankenhaushemd fühlte Kate sich unglaublich verwundbar. Ihr Kopf war leer, die Gedanken verschwommen, und die Trauer kam und ging, zumindest teilweise von Medikamenten unterdrückt. Doch der alles zerfressende Zorn brach bereitwilliger an die Oberfläche durch – und sein erstes Ziel war der Ehemann, der das Kind mehr als seine Frau gewollt hatte.
»Er wird kommen wollen«, sagte Michael.
»Vielleicht«, entgegnete Kate. »Ich bin nur nicht sicher, ob ich ihn hierhaben will.«
»Ihr werdet einander brauchen, Kate«, bemerkte Bel in sanftem Tonfall.
»Ich werde es ihm sagen, sobald ich dazu bereit bin«, erklärte sie.
Zwei Tage später bekam Kate Besuch von Sandi West, der Freundin ihrer Mutter.
Ausgerechnet Sandi. Diese Frau wollte Kate jetzt am allerwenigsten sehen.
Sie trug einen schlaff aussehenden Regenmantel und hatte ihren Gehstock und eine braune Papiertüte dabei, die sie Kate in die Hand
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