Die Rache der Kinder
Ängste mit ihm teilen können, erinnerte sie sich doch an den Schock, den er beim Verlust Emmies erlitten hatte, und so beschloss sie, ihm mehr Zeit zu lassen.
Doch nichts änderte sich. Der intelligente und liebende Mann, mit dem Kate seit zwei Jahren verheiratet war, schien verschwunden zu sein, verborgen in einem Nebel aus Starrsinn. Als Kate ihn anflehte, die Möglichkeiten mit ihr zu diskutieren, ließ Rob sie reden, schien ihr aber kaum zuzuhören und antwortete auch nicht.
»Das ist dumm«, sagte sie irgendwann zu ihm. »Und mir gegenüber ist es schrecklich unfair.«
»Ich sehe keinen Sinn, über etwas zu reden, das nicht geschehen wird.«
»Und wenn es doch passiert?« Kate verzweifelte allmählich. »Was, wenn der Ultraschall zeigt, dass irgendetwas mit unserem Baby nicht stimmt?«
»Das habe ich nicht gemeint«, erwiderte Rob.
»Aber du hast doch gerade gesagt …«
»Ich rede von einem Schwangerschaftsabbruch«, erklärte Rob. »Darüber brauchen wir gar nicht erst zu sprechen.«
»Ja, ich hoffe – bete –, dass wir das nicht müssen«, sagte Kate. »Das ist weiß Gott das Letzte, worüber ich nachdenken will. Aber wenn es zum Schlimmsten kommt und man uns sagt, dass unser Kind auf schreckliche Art leiden würde oder dass es …«
Sein Blick ließ sie verstummen. Robs Augen waren stets von einem strahlenden, sanften Blau gewesen, doch nun hatten sie alle Sanftheit verloren und waren hart wie Stein.
»Eines musst du wissen«, erklärte er. »Egal, was jemand uns erzählt, was mit unserem Baby passieren könnte , ich werde nie, unter gar keinen Umständen, einer Abtreibung zustimmen.«
Einen Augenblick lang fühlte Kate Hysterie in sich aufkeimen. »Das bist nicht du, der da spricht«, sagte sie. »Du klingst wie ein prüder Viktorianer oder wie …«
»Was?«, fragte Rob. »Wie ein Vater?«
»Um Himmels willen«, gab Kate zurück. »Ich bin diejenige, die das Kind im Leib trägt. Ich bin seine Mutter .«
»Du redest davon, unser Kind zu töten, Kate.« Rob blieb unversöhnlich. »Was mich zu der Auffassung bringt, dass ich dich vielleicht doch nicht so gut kenne, wie ich gedacht habe.«
Es war ein Ultimatum gewesen, mit dem Kate – die ohnehin schon unsägliche Angst vor dem gehabt hatte, was sie hätte erwarten können – nicht zurechtgekommen war. Deshalb war es beinahe eine Erleichterung für sie gewesen, als Rob noch in derselben Nacht seine Koffer gepackt hatte und nach Manchester gefahren war.
»Ich muss Emmie sehen«, sagte er an der Tür.
»Und zur Hölle mit mir«, erwiderte Kate.
»Sei nicht dumm«, sagte er. »Versuch, wenigstens das zu verstehen.«
Kate unterdrückte das Verlangen, ihn zu schlagen.
»Wann wirst du zurück sein?«, fragte sie stattdessen.
»Ich weiß es nicht.«
»Die Ultraschalluntersuchung ist für Mittwoch angesetzt«, erklärte Kate. »Ich dachte, du würdest mich vielleicht begleiten wollen …«
»Das halte ich für keine gute Idee«, entgegnete Rob.
Kate schlug ihm die Tür vor der Nase zu.
6. Aus Ralphs Tagebuch
Diesen vier Kindern war es egal, dass William Goldings Roman ein moderner Klassiker ist. Sie waren durch Zufall darauf gestoßen, und sie waren fasziniert davon, weil »Herr der Fliegen« eine fantastische Abenteuergeschichte über Kinder ist, die sich in Wilde verwandeln, eine Geschichte voller Helden und Schurken und einem mysteriösen Monster, das es zu erschlagen gilt.
Zumindest eine Zeitlang entführte die Geschichte sie aus ihrem langweiligen Leben. Und als sie den Roman zu Ende gelesen hatten, nahmen sie sich vom Inhalt, was sie brauchten, mehr nicht.
Und was sie sich nahmen, waren vier Charaktere mit denNamen Jack, Roger, Simon und Piggy (allesamt Jungen, denn in der Geschichte gibt es keine Mädchen) und natürlich das »Monster«. Daraus machten sie dann eine Art Rollenspiel, das nach und nach zum Mittelpunkt ihres Lebens wurde. Dieses Spiel wurde irgendwann so real für sie, dass sie es schließlich mit in die Erwachsenenwelt nahmen.
Vier Charaktere plus noch einer, der sich selbst eingeladen und das Glück hatte, dass man ihm gestattete, zu bleiben und ihr »Häuptling« zu werden.
7. Laurie
Nach einer der Untersuchungen in der Clinique Saint Joseph-Martin außerhalb von Avignon, drei Meilen vom Haus ihrer Tante Angela entfernt, hatte man Laurie gesagt, sie würde einen Sohn erwarten.
Weder ihr Vater noch ihre Mutter war dabei gewesen, doch ihre Tante hatte die Freude auf dem Gesicht ihrer jungen Nichte gesehen und
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