Die Rache der Kinder
»aber jetzt nicht mehr.«
Er hatte Tränen in den Augen, und Laurie konnte sich nicht vorstellen, dass er bloß schauspielerte.
Sie wartete darauf, dass er sagte, eine Abtreibung wäre besser gewesen. Wie eine Raubkatze, die auf der Lauer liegt, wartete sie darauf, dass er sagte, es wäre besser für Sam gewesen – um ihm sofort die Kehle herauszureißen. Doch Pete sagte nichts dergleichen. Er und Shelly hatten bloß mit ihrem Loblied auf das Kinderheim weitergemacht, hatten sich Zeit genommen und hatten Laurie Zeit gegeben, alles in Ruhe zu überdenken.
Allzu viel Zeit sollte sie jedoch nicht haben. Gerade genug, um es richtig zu machen.
»Betrachte es als Sams bestmöglichen Start ins Leben«, sagte Pete. »Mehr ist es nicht, Süße.«
»Der bestmögliche Start ins Leben ist für Sam das Gleiche wie für jedes Baby«, erwiderte Laurie. »Er muss bei mir bleiben, bei seiner Mutter .«
Zumindest hatte sie das ihren Eltern zu sagen versucht, doch irgendetwas stimmte nicht mit ihr. Sie war zu schwach und zu ausgelaugt für Verhandlungen mit Leuten, die viel erfahrener zu sein schienen als sie.
Und natürlich hatten ihre Eltern recht, oder? Natürlich verdiente Sam den besten Start ins Leben, den sie ihm geben konnte. Und wenn alle diese Leute – Mütter und Väter, Großeltern, Geschwister, Ärzte, Psychologen und der ganze Rest, der diese Empfehlungsschreiben verfasst hatte –, wenn sie alle das Gefühl hatten, ein Ort wie das Mann House sei das Beste für ein Kind wie Sam – besser jedenfalls, als bei seiner eigenen Mutter zu sein –, wer war sie schon, ihnen zu widersprechen?
Da! Schon hatte sie eine dieser Phrasen benutzt: »Ein Kind wie Sam.«
Auf der ganzen Welt gab es niemanden wie Sam. Er war so einmalig wie seine DNS und seine Fingerabdrücke.
Vergiss das nie , ermahnte sich Laurie. Vergiss das niemals.
Wenn sie es vergaß, war sie so gut wie verloren.
8. Kate
Nachdem Rob gegangen war, blieb Kate eine Zeitlang allein. Sie hielt sich von ihren Eltern und der Zeitung fern – ihrer Freundin Abby, die sie besuchen kam, sagte sie, dass sie und Rob erkältet seien – und legte all ihre Energie in das, was sie am besten konnte: Sie recherchierte, was ihr Kind erwarten würde, wenn eine der Erkrankungen, über die bis jetzt nur spekuliert wurde, sich beim nächsten Test bestätigte.
Natürlich hätte Kate ins Krankenhaus gehen und mit den Spezialisten dort sprechen können – zumindest mit Mary Kennet, ihrer Hausärztin. Und natürlich wusste sie, dass sie das irgendwann tun musste. Aber Kate wusste auch, dass sie das alles nur durchstehen konnte, wenn sie so tat, als wäre es eine ganz normale Arbeit und als hätten die Recherchen nichts mit ihr und ihrem ungeborenen Kind zu tun.
Aber natürlich war es ihr Baby, was unter anderem hieß, dass Rob zwar gegangen, sie aber trotzdem nicht allein war, denn das Kind wuchs in ihrem Leib – und das war der entscheidende Umstand für Kate. Sie war sicher, dass sie zuderselben Entscheidung gelangt wäre, hätte Rob sich nicht geweigert, die Angelegenheit zu besprechen, und wäre er nicht einfach davongelaufen.
Ihr gemeinsames Kind wuchs in ihr heran, und es hatte das Recht zu leben.
Egal, ob krank oder gesund.
Kate hatte ihre Eltern schließlich um ein Treffen gebeten, um ihnen alles zu sagen, anstatt zwei schmerzhafte Begegnungen auf sich zu nehmen.
»Und bitte«, hatte sie zu Michael am Telefon gesagt, »können wir das unter uns behalten?«
Mit anderen Worten: Er sollte Delia nichts davon sagen.
Delia Price war die neue Frau in seinem Leben, eine Webdesignerin aus Melbourne. Sie war eine kluge, attraktive Brünette, größer, jünger und energischer als Bel – und laut Kates vernarrtem Dad auch noch ungewöhnlich mutig. So war ihr Rücken narbig von einem Reitunfall; trotzdem stieg sie nach wie vor bei jeder sich bietenden Gelegenheit aufs Pferd.
»Was Delias Charakter so ziemlich auf den Punkt bringt«, hatte Michael vor einer Weile gesagt.
Kate war es nie wirklich gelungen, ihre Abneigung gegenüber Delia Price zu überwinden, die stets nett zu ihr war, wenn Michael sich in der Nähe aufhielt, aber kühl, wenn sie allein waren. Ganz zu schweigen davon, auf welche Weise Delia versucht hatte, bei Rob zu punkten. Sie hatte ihn sogar eingeladen, Sonntagmorgens mit ihr reiten zu gehen, wohl wissend, dass Kate nicht mitkommen würde. Kate war als Kind einmal vom Pferd gestürzt und hatte seitdem Angst vor den Tieren.
»Wenn sie auch nur den
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