Die Rache der Liebe
anderen Menschen an der Tafel unterhielten. Auch Seligs Familie vermittelte Ragnar das Gefühl, herzlich willkommen zu sein. Erika wußte das zu schätzen. Das Mahl hätte für sie beide auch äußerst unangenehm verlaufen können, aber Ragnar fühlte sich offensichtlich sehr wohl. Und Selig nicht minder. Mehrmals lachte er schallend auf. Und er schüttete nicht so viel Ale in sich hinein wie letzte Nacht. Einzig Erika litt unter der Situation, wenngleich sie sich dies, um ihres Bruders willen, nicht anmerken ließ.
Als Erika schließlich die Gelegenheit sah, sich von der Tafel zu erheben, ohne ungebührliche Aufmerksamkeit zu erregen, hörte sie zu ihrer Überraschung, wie sich Selig ebenfalls entschuldigte, um sie zu begleiten. Und damit nicht genug: Als er sie aus der Halle geleitete, schlang er seinen Arm fest um ihre Taille, und obwohl er dies nur wegen Ragnar machte, war sich Erika seiner Berührung schmerzhaft bewußt, spürte intensiv den warmen Druck seiner Finger auf ihren Rippen. Er ließ sie auch nicht plötzlich los, nachdem sie den oberen Gang erreicht hatten und nicht mehr den neugierigen Blicken der anderen ausgeliefert waren, obwohl Erika einen schüchternen Versuch unternahm, sich ihm zu entwinden.
»Du muss t zugeben, Weib, dass dieser Griff beinahe ebenso wirkungsvoll ist wie deine Kettenleine«, sagt er zu ihr, während er die Tür zu seinem - jetzt ihrer beider - Gemach öffnete.
Sie riss sich von ihm los. Nach dieser Bemerkung hätte sie ihn auch gekratzt und gebissen, um seinem Griff zu entrinnen. Und wäre sie nicht durch die auf dem Bett ausge breiteten Kleidungsstücke abgelenkt worden, hätte sie sicher eine nicht minder beleidigende Erwiderung gegeben.
Er stellte sich direkt hinter sie ans Bett, berührte sie aber nicht mehr. »Meine Schwester ist sehr großzügig«, bemerkte er.
Das war nicht gelogen. Auf dem Bett lagen drei Kleider mit dazu passendem Zubehör, und nicht eines der Gewänder sah aus, als käme es aus der Almosenkiste.
» Ihre Großzügigkeit gilt dir, nicht mir«, entgegnete Erika bitter. .
»Wie das?«
»Wäre es dir etwa nicht peinlich, wenn deine Gemahlin in Lumpen ginge?«
»Und warum sollte mir das peinlich sein, Weib?«
Das Lachen in seiner Stimme war unüberhörbar. Erika wandte sich um und schaute mitten in seine grauen Augen. »Dann habe ich mich wohl geirrt«, sagte sie achselzuckend. » Da es auch mir gleichgültig ist, so magst du diese Kleider deiner Schwester zurückgeben. Mein Bruder wird meine eigene Garderobe hierher schicken lassen, aber wenn du möchtest, dass ich auch diese nicht trage, so kannst du sie wegschließen oder verschenken.«
»Oder sie aus dem Fenster werfen, wie du es mit meinem Eigentum getan hast?« konterte er.
Sogleich hielt sie nach den Ketten, auf die er angespielt hatte, Ausschau und hoffte inständig, sie würde sie nicht entdecken. Doch da lagen sie, säuberlich in ihrer Ecke zusammengerollt, und ihr bloßer Anblick ließ Erika vor Wut erbeben.
»Ich weigere mich, sie wieder anzulegen«, zischte sie wütend.
»Wenn ich will, dass du sie trägst, wirst du das tun!«
»Dann muss t du dich auf einen Kampf gefasst machen!« drohte sie.
Er lachte, er lachte tatsächlich! »Was dabei herauskommt, wissen wir doch bereits, oder?«
Eine Braue gehoben, sah sie ihn scharf an. »Tatsächlich? Ich habe nicht mich gemeint, Selig, sondern Turgeis. Sollte er mich in Ketten sehen, wird er zum Berserker werden!«
Augenblicklich verflüchtigte sich seine Heiterkeit. »Dieser verdammte Riese ... «
»Bleibt bei mir, es sei denn, du willst alles, was heute verabredet wurde, wieder rückgängig machen. Mein Bruder hat dein Leben gerettet. Ich habe Turgeis' Leben gerettet. Aber im Gegensatz zu dir hat er es sich zur Lebensaufgabe gemacht, seine Schuld an mich zurückzuzahlen.«
»Ich habe mich deinem Bruder gegenüber auch erkenntlich gezeigt«, knurrte Selig. »Immerhin habe ich mich geweigert, gegen ihn zu kämpfen.«
»Da das Ergebnis dieses Kampfes nicht sicher ist, reicht das wohl schwerlich aus.«
Einen Moment starrte er sie grimmig an, dann sagte er sehr leise: »Stachelst du meine Wut an, riskierst du, gleichzeitig auch meine Leidenschaft anzustacheln. Falls du mit letzterer nicht noch einmal Bekanntschaft machen willst, rate ich dir, von nun an zu schweigen! «
Er wandte sich von ihr ab. Ehe Erika es verhindern konnte, sprudelte sie auch schon mit erhobener Stimme und ohne jeden Zusammenhang hervor: »Hast du heute auch
Weitere Kostenlose Bücher